Analyse: Syriens schwieriger Weg aus dem Krieg
Damaskus (dpa) - Am Morgen nach der historischen Einigung im UN-Sicherheitsrat wird in Syrien wieder heftig gekämpft: Militärjets - vermutlich russische - bombardieren Ziele in Idlib, Hama und Aleppo.
In Homs explodiert eine Autobombe.
Bei Latakia, einer Hochburg der Regimeanhänger, vertreiben islamistische Rebellen die Armee von einem wichtigen Hügel. Das alles geschieht wenige Stunden, nachdem ein Friedensplan einstimmig beschlossen wurde, ergibt die Bilanz der Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die ihre Informationen von syrischen Aktivisten vor Ort bezieht.
Unmittelbare Auswirkungen auf das Kriegsgeschehen hat die in New York verabschiedete Resolution erwartungsgemäß nicht. Nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft soll sich das aber bald ändern. Denn zum ersten Mal seit Beginn des Syrienkonflikts im März 2011 sind sich die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats auch politisch einig - andere UN-Resolutionen hatten sich entweder mit humanitären Fragen befasst oder waren am Veto Russlands und Chinas gescheitert.
Bereits im Januar soll es nun Friedensgespräche der Regierung von Präsident Baschar al-Assad mit der Opposition geben, innerhalb eines halben Jahres soll eine Übergangsregierung stehen. Freie Wahlen und eine neue Verfassung sind in 18 Monaten geplant. Gibt es also endlich Hoffnung auf eine Lösung im Konflikt, der nach UN-Angaben mehr als 250 000 Menschen das Leben gekostet und Millionen zur Flucht in die Nachbarländer und nach Europa gezwungen hat?
Oppositionelle halten das Vorhaben für unrealistisch. Samir Naschar, führender Vertreter der in Istanbul ansässigen Syrischen Nationalen Koalition sieht „viele Fallstricke“ und hält eine Umsetzung der Resolution für schwierig. Sein Oppositionsbündnis kritisiert unter anderem, dass mit keinem Wort erwähnt wird, was mit Assad geschehen soll. Der Staatschef ist nach Meinung seiner Gegner ein größerer Terrorist als die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Dass er sich vor Beginn einer Übergangsphase zurückziehen muss, ist eine Bedingung der Opposition für ihre Teilnahme an Verhandlungen.
Auf dem diplomatischen Parkett ist die Syrische Nationale Koalition das wichtigste Oppositionsbündnis und erste Ansprechpartnerin für den Westen. In Syrien selbst hat sie aber nur wenig zu sagen. Der Anführer der Al-Kaida-nahen syrischen Nusra-Front spricht der Koalition sogar jeglichen Einfluss ab. Arabischen Journalisten sagte Abu Mohammed al-Dschaulani jüngst im Interview: „Jeder weiß, dass die Koalition in Wirklichkeit nichts auf dem Boden kontrolliert.“ Sie gebe nur Pressekonferenzen in Hotels.
Zu der vom Westen unterstützten Rebellenarmee sagte Al-Dschaulani: „Es gibt keine Freie Syrische Armee. Es ist weder eine Armee, noch eine Organisation. Es ist nur ein Name, an den sich die Menschen gewöhnt haben.“ Al-Dschaulanis Nusra-Front gehört dagegen zu den starken Milizen im Kampf gegen Assad.
So bleibt unklar, wer überhaupt genügend Einfluss hat, um den Friedensplan in die Tat umzusetzen. Die UN-Resolution bleibt bei den Knackpunkten erstaunlich vage. Neben der Rolle Assads bleibt etwa strittig, welche Milizen aufseiten der Opposition an den Gesprächen mit der Regierung in Damaskus teilnehmen dürfen. Gemäßigte Gruppierungen sind im Laufe des brutalen Bürgerkriegs tatsächlich immer schwächer geworden, während Dschihadisten wie die Nusra-Front oder der IS, die von Verhandlungen ausgeschlossen sind, sowie andere radikalislamische Gruppen immer mehr Anhänger gewannen.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dürfte es zudem schwer fallen, den in der Resolution geforderten landesweiten Waffenstillstand auszuhandeln - selbst wenn alle UN-Staaten Druck auf die mit ihnen verbündeten Gruppen ausüben. Hier sind vor allem die sunnitischen Staaten Saudi-Arabien, Katar und die Türkei gefordert, die noch am ehesten Einfluss auf radikalislamische Sunnitenmilizen nehmen könnten.
Russland wiederum muss Damaskus dazu bringen, die Waffen schweigen zu lassen. In einer ersten Reaktion auf die UN-Resolution ließ Syriens UN-Botschafter Baschar Dschaafari wissen, dass Damaskus dann dazu bereit sei, „wenn die Milizionäre ihre Waffen niederlegen“.
Der Syrienspezialist des US-Thinktanks Brookings, Charles Lister, befürchtet, dass der Westen eine längere Übergangszeit mit Assad favorisiert, um die Russen an Bord zu behalten. Im „Spiegel“-Gespräch warnt er vor einer solchen Entscheidung: Dann werde die Opposition aussteigen. „Und dann sind wir zurück auf null.“