Analyse: „Todesgruppe“ bleibt gefährlich
Charkow/Danzig (dpa) - Dreimal ballte Joachim Löw die linke Faust und brüllte ein befreiendes „Jaaaa“ Richtung Spielerbank.
Der Bundestrainer war nach dem zweiten erfolgreichen EM-Kraftakt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ungemein stolz auf seine Holland-Besieger um den Torgaranten Mario Gomez, der bei seinem dritten Turnier eine Leistungsexplosion erlebt. „In der sogenannten Todesgruppe haben wir jetzt sechs Punkte geholt, und das gegen zwei ganz starke Mannschaften. Das ist eine starke Leistung“, sagte Löw ebenfalls sichtlich abgekämpft nach der 90-minütigen „Hitzeschlacht“ gegen den Erzrivalen Niederlande, der vor dem Vorrunden-K.o. steht.
Wie schon beim 1:0 gegen Portugal bestach die deutsche Elf auch beim 2:1 gegen den WM-Zweiten um den kaltgestellten Bayern-Star Arjen Robben vor allem wieder mit disziplinierter Defensivarbeit. Bei den überragend herausgespielten „Weltklasse-Toren“ (Kapitän Philipp Lahm) von Gomez blitzte aber auch die spielerische Klasse auf, gerade beim Passgeber Bastian Schweinsteiger, der nach seinem zähen Turnierstart entschlossen die Chefrolle an sich riss.
Der Stilwandel vom Lust-und-Laune-Fußball der WM 2010 zum Effizienz-Fußball 2012 lässt Titelträume reifen - über 27 Millionen Fans jubelten in der Heimat vor den Fernsehern. „Das Wichtigste ist, Ergebnisse zu erzielen. Die haben wir geschafft gegen zwei hervorragende Gegner“, betonte Lahm.
Zumal die deutsche Gruppe gefährlich bleibt. Jedes Spiel fühlt sich schon an wie ein Duell in der K.o.-Runde. Nicht mal die sechs Punkte garantieren dem DFB-Team den Einzug ins Viertelfinale. „Eigentlich denkt man, nach zwei Siegen ist man durch. Aber das ist leider nicht so“, meinte Lukas Podolski zur brisanten Konstellation.
Schon ein 0:1 oder 1:2 zum Vorrundenabschluss am Sonntag in Lwiw gegen Dänemark könnte das Aus bedeuten, womit jedoch niemand im deutschen Lager rechnet. „Wir haben das Tor zum Viertelfinale aufgestoßen. Wir haben es jetzt selbst in der Hand, gegen Dänemark alles klar zu machen“, sagte Löw zur komfortablen Ausgangsposition.
Notgedrungen muss er nach der zweiten Gelben Karte Jérôme Boateng auf der rechten Abwehrseite ersetzen. Seine gefundene Turnierelf wird er aber nicht groß verändern. „Wir brauchen ja noch Punkte. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass das Spiel zwischen Portugal und Holland unentschieden ausgeht. Darum werde ich nicht viele Wechsel vornehmen“, kündigte Löw gleich am Mittwochabend an.
Schon ein Unentschieden reicht der DFB-Auswahl zum Gruppensieg und dem angestrebten „Heimspiel“ im Viertelfinale in Danzig, nur wenige Kilometer vom EM-Quartier entfernt. „Wir wollen in Polen spielen“, erklärte der gebürtige Pole Lukas Podolski. Als möglicher Gegner käme aus Gruppe A auch noch der EM-Gastgeber infrage - ein heißes Duell.
Von der Favoritenrolle mochte nach den Turniertoren zwei und drei von Gomez (24./38. Minute), denen die Holländer vor 37 750 Zuschauern im Metalist-Stadion nur das Anschlusstor des starken Robin van Persie (73.) entgegensetzen konnten, noch keiner laut reden. „Nein, überhaupt nicht“, verkündete der Dortmunder Mats Hummels, „es ist ja nicht einmal die Gruppenphase überstanden.“
Löw hat jedoch eine Titelstrategie entworfen, die nicht auf Hurra-Fußball basiert, sondern auf kollektiver Arbeit gegen den Ball und den Gegner. „Wir haben es absolut klasse verstanden, defensiv gut zu arbeiten. Den Holländern ist wenig eingefallen“, lobte er gerade auch seine Offensivkräfte für das extreme Schuften nach hinten. Nur einen Kritikpunkt brachte er an: „In der zweiten Halbzeit hätten wir den Sack früher zumachen können.“ Das dritte Tor fiel nicht, weil Spielmacher Mesut Özil noch nicht im Weltklassemodus ist und Podolski sowie Thomas Müller auf den Außenbahnen offensiv nicht wie erhofft zünden. „Nach vorne würde es ihnen gut tun, wenn sie mal ein Tor machen könnten, klar“, erklärte auch der Bundestrainer.
Fürs Toreschießen ist bislang allein Gomez zuständig. Es war die pure Genugtuung für den 26-Jährigen, der trotz seiner beeindruckenden Trefferquote beim FC Bayern und inzwischen auch im Deutschland-Trikot selbst nach dem Portugal-Spiel hart kritisiert worden war, explizit von ARD-Experte Mehmet Scholl. Drei Tage lang habe er „nur auf die Fresse bekommen“, klagte der Stürmer, dem die Diskussionen zugesetzt hatten: „Man versucht das abzuschütteln, aber es ist doch da.“
Das erneute Vertrauen des Trainers zahlte er mit zwei Traumtoren zurück. „Die Antwort habe ich auf dem Platz geben. Ich bin sehr glücklich nach einigen schwierigen Tagen mit vielen Kilos auf der Schulter“, berichtete als „Spieler des Spiels“ ausgezeichnete Matchwinner. Löw geriet ins Schwärmen über Stehaufmännchen Gomez, schwärmte die Effizienz seines neuen Angreifers Nummer 1 und die Machart seiner Länderspieltore 24 und 25: „Er hatte zwei Chancen und macht zwei Tore. Und dann die Klasse, wie er diese Tore macht.“
Die Holländer hatten nur in van Persie einen ähnlichen Gefahrenherd. „Wir waren einfach nicht stark genug“, gestand Bondscoach Bert van Marwijk und verteilte stattdessen ein Kompliment an den Erzrivalen: „Es ist lange her, dass Deutschland so viele gute Fußballer hatte.“
Noch ist auch Holland nicht verloren. Die Portugiesen muss man mit zwei Toren schlagen - und Deutschland die Daumen drücken. „Die Deutschen werden auch gegen Dänemark versuchen zu gewinnen“, sagte der von Lahm kaltgestellte Robben, „das haben sie mir versprochen.“