Schluss mit Party: Oranje trauert
Kerkrade (dpa) - Aus. Vorbei. Holland ist geschlagen. Kurz vor der Halbzeit gehen die ersten nach Hause. In der Kneipe waren sie vorher ganz freundlich - auch zu einer Deutschen, jetzt tieftraurig. Nicht ansprechbar.
Weg, einfach nur weg.
„Die Deutschen haben auch zehn Jahre gebraucht, bis sie soweit waren und Fußball spielen wie jetzt“, sagt der Niederländer Frank Geisen. Aber mit Vernunft kommt nur so einer wie Geisen weiter: Oma und Opa waren aus Deutschland. Aber das weiß in seiner Stammkneipe wohl kaum einer.
Sie liegt in Kerkrade fast genau auf der Grenze - an der Nieuwstraat. Auf der anderen Straßenseite ist Deutschland und da heißt sie Neustraße. Wenn die deutsche Nationalelf gegen das Oranje-Team spielte, reisten immer Mal Leute an, um Randale zu machen. Auch wenn das schon Jahre her ist, denkt jeder daran - auch Ursula und Fritz Kohlbau.
Verkleidet wie an Karneval gehen sie mit Deutschland-Trikots und schwarz-rot-gold auf dem Kopf an einem Pulk Oranjes vorbei. „Wir sind bisher nicht angepöbelt worden“, sagt Fritz Kohlbau. Seine Frau nickt. 13 Jahre wohnen sie schon in Kerkrade. „Wir haben zwei Fahnen im Fenster hängen: Eine deutsche und eine niederländische“, sagt der Mann. Und eigentlich wolle er nur ein schönes Spiel sehen. Dafür gehen die Kohlbaus aber über die Straße - nach Deutschland zu einem Freund, nicht in die Kneipe, wo sowieso nur Niederländer sind. Wie sollte man auch unter einem solchen Druck noch ausgelassen jubeln?
Mariuz Robert steht mitten auf der Neustraße und schwenkt eine mehrere Quadratmeter große Hollandfahne. An dem Abend fährt eh kein Auto. Alle sitzen vor irgendwelchen Fernsehern. Robert ist Pole, „zu 100 Prozent“, sagt er. „Aber zu 99 Prozent bin ich auch Niederländer. Meine beiden Kinder sind hier geboren, das dritte ist unterwegs.“ Sein Fahrrad hat er sorgsam in die Ecke gestellt, er steht da und schwenkt mit ausladenden Bewegungen seine Fahne.
Plötzlich erschallt kollektiver Jubel - von der niederländischen Straßenseite, Totenstille auf der deutschen. Der 1:2-Anschlusstreffer für die Holländer - wie die Nachbarn einfach heißen. Das hört man, das weiß man, dafür braucht man keinen Fernseher.
Dann bringen sich Hundertschaften der Polizei beiderseits der Grenze in Position. Eine Viertelstunde vor Spielende haben sie vorsichtshalber die Straße dicht gemacht. Kerkrade hatte dafür eigens eine Notverordnung erlassen. Deutsche lassen sich nicht blicken. Privatautos, die zu Spielbeginn noch an der Straße geparkt haben, sind plötzlich weg. Schlussphase. Dann ist es vorbei. Holland verliert, alles bleibt ruhig.
Der 16-jährige Runar hat sein Oranje-Hütchen da schon lange weggelegt. Die große Plastikbrille - natürlich auch oranje - sah zu Spielbeginn ganz lustig aus. Aber jetzt ist da nur noch ein trauriger, untröstlicher Junge.