Analyse: Angst vor der Europleite
Washington (dpa) - Es ist eine Vorstellung aus dem Gruselkabinett der Weltwirtschaft. Rund um den Globus stürzt die Konjunktur ab, in der Eurozone sinkt das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um 8,5 Prozent.
Selbst aufstrebende Schwellenländer fahren voll gegen die Wand und schrumpfen um 4,0 Prozent. 2014 wird ähnlich katastrophal, die gerade zurückliegende schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg wirkt dagegen fast harmlos. Auslöser ist die Schuldenkrise in Europa, sie reißt alle anderen Regionen mit in den Abgrund. So zumindest schildert es die Weltbank in ihrem neuen Wachstumsausblick.
Die Washingtoner Sonderorganisation der Vereinten Nationen will mit diesem Horror-Szenario, erdacht in einer ökonomischen Simulation, vor allem aufrütteln. Was passiert, wenn große Länder der Eurozone, die ungefähr ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, pleite gehen und keine Kredite mehr bekommen, lautete die Frage. Der Schock für die Weltwirtschaft wäre extrem, heißt die Antwort. Wahrscheinlich ist diese Entwicklung zwar nicht, betont der ranghohe Weltbank-Ökonom Hans Timmer. „Aber zugleich können wir sie nicht ausschließen.“ Das Undenkbare ist in der global vernetzten Ökonomie nicht unmöglich.
Für den Domino-Effekt könnte es unzählige Gründe geben, die sich nicht einmal die Weltbank alle ausdenken kann. „Zum Teil, weil es unmöglich ist, genau vorherzusagen, was ihn auslöst. Und zum Teil, weil die machtvollen entfesselten Kräfte leicht eine andere, sehr von sinnvollen ökonomischen Standard-Vorhersagen abweichende Route nehmen können“, heißt es vorsichtig in dem Bericht. Übersetzt könnte das auch bedeuten: Nach der Krise können wir sagen, wir haben Euch ja gewarnt - wir wissen jetzt nur noch nicht genau, wovor.
Das Ausmaß einer möglichen neuen Weltwirtschaftskrise ließe sich aber zumindest eindämmen, analysiert die Weltbank. Vor allem ihre Schützlinge, die Schwellen- und Entwicklungsländer, müssten dafür schon jetzt einiges in die Wege leiten. „Weniger reagierend auf kurzfristige Änderungen in den äußeren Bedingungen und zugänglicher für mittelfristige inländische Überlegungen“ sollten sie künftig sein. Für Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft wie China und Indien sei also die Zeit gekommen, erwachsen zu werden.
Die Hauptsorge der Weltbank ist dabei, dass der innere Wachstumszwang in diesen Nationen die Krisenpuffer aufgezerrt hat. Die fortlaufende Ankurbelung der Konjunktur in Schwächephasen hätten dem Immunsystem geschadet. „Entwicklungsländer benötigen im Fall einer Finanzkrise all die Munition, die sie zur Verfügung haben“, sagt Timmer. Momentan seien sie aber schlechter aufgestellt als zu Beginn der Krise 2007, ihre Haushaltsdefizite etwa seien heute zwei Prozent höher als damals. Insgesamt seien Anfälligkeiten einfach zu groß, um wie damals den Absturz reicher Länder zumindest zu federn.
Heute noch sind es die aufstrebenden Staaten, die rund 50 Prozent des globalen Wachstums ausmachen. Und um diese wichtige Rolle weiter spielen zu können, sei der Wechsel „zur wachstumsneutralen Politik“ nötig. Die Mehrheit der Länder sei ohnehin am Rande der Überhitzung, die Produktivität am Limit - das zeigen auch jüngste Nachrichten über die „schwächelnde“ Wirtschaft in Indien und China. Was die globalen Märkte mit Sorge sehen, ist für Weltbank eine normale Korrektur.
„Bewegt euch weg von Feuerwehreinsätzen hin zur Stärkung eures unterschwelligen Wachstumspotenzials“, ruft Timmer den Führungen der Länder daher zu. Der Abbau kurzfristig fälliger Schulden, die Schaffung einer gesunden Infrastruktur und andere Maßnahmen mit Weitblick seien Beispiele für aktuelle Mittel zur Wahl. „Es ist dabei immer noch möglich, sehr solide Wachstumsraten zu erzielen“, sagt Timmer. Und nebenbei können die Staaten die Welt vielleicht vor dem Horror-Szenario aus dem Gruselkabinett der Weltwirtschaft bewahren.