Analyse: Totentanz in Tripolis - Gaddafi gibt nicht auf
Tripolis/Istanbul (dpa) - Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi tut alles, um sich in den Geschichtsbüchern einen Platz als verrücktester arabischer Staatschef der Neuzeit zu sichern.
Erst hetzt er die Luftwaffe auf Demonstranten. Dann präsentiert er sich im staatlichen TV als supercooler Diktator von nebenan, der über das Wetter plaudert, während in Tripolis die Regierungsgebäude brennen.
Einige Stunden später schießt er im staatlichen Fernsehen eine seiner berüchtigten Endlosreden auf das Volk ab. Er verspricht den Bürgern ein neues Libyen und droht: „Ich werde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.“ Gaddafi wirkt fahrig. Er schreit und verspricht eine Verwaltungsreform, dazu hat ihm wohl sein Sohn Seif al-Islam geraten, der schon vor zwei Tagen vergeblich versucht hatte, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Die internationale Gemeinschaft schaut fassungslos zu, während der Gaddafi-Clan und die Aufständischen ihre Gegner erschießen, lynchen, verbrennen. Auch einige unbeteiligte Ausländer werden in den Wirren des Volksaufstandes getötet, festgenommen oder ausgeplündert. Ein Gerücht jagt das nächste. Erst heißt es, in Bengasi und Tripolis seien afrikanische Söldner im Einsatz. Dann heißt es vonseiten des Regimes, die dunkelhäutigen Männer in Uniform seien dunkelhäutige Libyer, die der Minderheit der Tabou angehörten. Dass ausgerechnet die Tabou, die unter Gaddafi diskriminiert und aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben wurden, nun für ihn kämpfen, ist jedoch wenig wahrscheinlich.
Doch schon ist das nächste Gerücht im Umlauf. Ein Flugzeug aus Italien soll Söldner ins Land gebracht haben. Dann ist plötzlich von Scharfschützen aus Serbien die Rede, die angeblich für sehr viel Geld kurzfristig angeheuert worden sein sollen.
Gaddafi steht eine Woche nach dem Beginn der Proteste, die ihren Anfang in den östlichen Städten Al-Baidha und Bengasi nahmen, relativ isoliert da. Ein Großteil des libyschen diplomatischen Korps hat sich von ihm losgesagt. Ein Teil der Armee ist zu den Aufständischen übergelaufen, die weder bei der Unterscheidung zwischen Freund und Feind noch in ihren Methoden besonders zimperlich sind. In Tunesien und Ägypten, dort, wo Gaddafis einstige Partner Zine el Abidine Ben Ali und Husni Mubarak kürzlich das Feld räumen mussten, organisieren Ärzte Hilfsgütertransporte für die bedrängten libyschen Revolutionäre.
Was Gaddafi mit Mubarak, der den Stil des schrillen Oberst aus Sirte nie besonders mochte, gemeinsam hat, ist der Starrsinn. Beide Staatschefs ignorierten die Rufe ihrer Bürger nach Reformen und Korruptionsbekämpfung so lange, bis diese nur noch von einem Gedanken beseelt waren: Er muss weg. Auf ein Ende wie Mubarak, der sich von Volk und Militär dann doch aufs Altenteil nach Scharm el Scheich abschieben ließ, kann Gaddafi aber wohl kaum hoffen. Denn einige seiner Gegner malen sich auf ihren Websites jetzt schon in schillernden Farben aus, wie sie ihn lynchen und dann „seine Leiche ins Meer werfen“.
Zahlreiche Regierungen und internationale Organisationen appellieren nun an Gaddafi, das Blutvergießen schnell zu beenden. Sie verurteilen den Einsatz der Armee gegen Zivilisten. Sogar einige frühere Weggefährten Gaddafis rufen den Diktator inzwischen zum Rücktritt auf. Doch Gaddafi ficht dies nicht an. Denn er ist eben nie nur ein Exzentriker gewesen, der von den Vereinten Nationen die Auflösung der Schweiz fordert, Shakespeare zum Araber erklärt (Scheich Subair) oder sich über Demokratie lustig macht („Democray, das erinnert an das arabische Wort Karasi. Das heißt Stühle, also Führer, die auf Stühlen sitzen“).
Gaddafi war trotz seiner poppigen Gewänder und luxuriösen Zelt-Ausflüge immer auch gefährlich - eine Zeit lang auch für das Ausland, als er noch Terror in anderen Staaten finanzierte. Später dann nur noch für die Menschen in Libyen, die unter seiner Knute zum Schweigen verdammt waren, wenn sie nicht im Gefängnis, im Folterkeller oder im Exil landen wollten.
Sollte sich einer der westlichen Staats- und Regierungschefs, die in den vergangenen Jahren ihre Beziehungen zu dem einstigen Paria in Nordafrika ausgebaut haben, gehofft haben, dass sich dadurch in Libyen nach dem Prinzip „Wandel durch Annäherung“ auch innenpolitisch etwas zum Guten wenden könnte, so ist er spätestens jetzt eines Besseren belehrt worden.