Analyse: Türkei alarmiert Nato-Partner
Brüssel (dpa) - Muss die Nato in den Krieg gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) eingreifen? Nach den jüngsten Attacken von Dschihadisten gegen die Türkei ist diese Frage plötzlich wieder ein Thema.
Der Bündnispartner beantragte am Wochenende Sonderberatungen nach Artikel 4 des Nato-Vertrages und machte damit klar, dass er die eigene Sicherheit bedroht sieht. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und andere Spitzendiplomaten mussten daraufhin ihren Sommerurlaub abbrechen. Statt Entspannung fern vom regnerischen Brüssel stand eine Krisensitzung des Nato-Rats auf dem Programm.
Das Treffen dauerte dann allerdings nur etwas mehr als eine Stunde. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen informierte die Türkei die Partner lediglich über die Lage nach den Anschlägen und den laufenden Anti-Terror-Kampf. Um konkrete militärische Unterstützung für den Kampf gegen den IS wurde nicht gebeten - lediglich um Solidarität. „Mit der Sitzung wollte die Regierung in Ankara wohl vor allem der eigenen Bevölkerung zeigen, dass ihr Kurs von den Nato-Partnern unterstützt wird“, kommentierte ein Diplomat. Verteidigungspolitisch sei der Aufwand kaum nötig gewesen.
Im Nachhinein könnte dies noch für gehörigen Ärger sorgen. Nahezu zeitgleich zur Nato-Sondersitzung erklärte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Friedensprozess mit der kurdischen PKK für beendet - und widersetzte sich damit klar Forderungen von Bündnispartnern wie Deutschland.
Die Abschlusserklärung zum Nato-Treffen war zu diesem Zeitpunkt schon abgestimmt. In ihr verurteilt das Bündnis in allgemeiner Form die Anschläge in der Türkei und sichert dem Partner Solidarität zu. „Terrorismus in jeglicher Form und Ausprägung kann niemals toleriert werden“ - diesen Satz kann Erdogan nun auch als Rückendeckung für seinen scharfen Kurs gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verkaufen. Die ist im Zuge des IS-Terrors erneut ins Visier der türkischen Regierung geraten, weil auch sie sich zu Anschlägen bekannte.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte sich in einem Telefonat mit ihrem türkischen Kollegen Vecdi Gönül besorgt über die türkischen Luftschläge gegen PKK-Stellungen. „Ich habe eindringlich darauf hingewiesen, dass die Verhältnismäßigkeit in diesem Prozess unbedingt gewahrt sein muss und dass der Versöhnungsprozess mit den Kurden innerhalb der Türkei nicht gestört oder aufgekündigt werden darf“, kommentierte sie.
Wie es weitergeht? Eine direkte Nato-Beteiligung am Kampf gegen die Terrormiliz IS scheint trotz der Angriffe auf die Türkei äußerst unwahrscheinlich. „Alle 28 Alliierten beteiligen sich bereits heute an der internationalen Allianz, die gegen den IS kämpft“, sagte Generalsekretär Stoltenberg am Dienstag zu der Frage. Man werde die Entwicklungen weiter sehr genau verfolgen.