Analyse: Unsortiert und aus dem Zusammenhang gerissen

Dresden (dpa) - Ein ungemütlicher Montagabend in Dresden: Nieselregen und Temperaturen nur knapp über Null sind eigentlich nicht dazu angetan, sich lange im Freien aufzuhalten.

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Doch die selbst ernannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ bringen erneut mehr Menschen auf die Straße als jemals zuvor. Auch die mahnenden Worte der Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache halten 18 000 nicht davon ab, sich dem Demonstrationszug anzuschließen.

„Merkel muss weg“ steht wie zum Trotz auf einem Transparent, Lampions in den Deutschland-Farben baumeln durchnässt im kalten Wind. „Wir kommen wieder“, ruft die Menge. Auch die erste Kundgebung im neuen Jahr macht klar: Die deutsche Politik wird sich mit dem Phänomen und den darunter liegenden Problemen noch lange beschäftigen müssen.

„Ich bin mir sicher: 90 Prozent der Pegida-Demonstranten kommen nicht wegen der Islamisierung des Abendlandes zur Demo“, sagt ein Mann von Anfang 40, der eigens aus Chemnitz angereist ist. Als Antrieb sieht er vielmehr diverse Missstände. Er selbst nimmt am Montagabend das Dialogangebot der Pegida-Gegenseite an. Unweit des Sammelpunktes der „Patriotischen Europäer“ haben sich Politiker mehrerer Parteien versammelt, um mit Pegida-Anhängern ins Gespräch zu kommen.

„Ich bin 1989 nicht auf die Straße gegangen, damit die DDR ein Einwanderungsland wird“, sagt der Chemnitzer, der nach eigener Behauptung mit seiner Familie bereits mehrfach Opfer krimineller Ausländer geworden ist.

Die Pegida-Organisatoren stellen die „Islamisierung des Abendlandes“ an diesen Abend bereits als Tatsache dar. Völlig unsortiert und aus dem Zusammenhang gerissen, werden in Deutschland Zustände beschrieben, bei denen etwa deutsche Schulkinder mit Rücksicht auf Muslime kein Schweinefleisch mehr essen dürfen.

Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) ist besorgt, dass sich die Tonlage in der Debatte verändert. Auf Facebook und anderswo gebe es durchaus Töne unterhalb der Gürtellinie. „Wenn man miteinander in Dialog treten will, muss man sachlich und vernünftig miteinander reden“, sagt sie.

Das dürfte noch ein schweres Stück Arbeit sein. Als die
Pegida-Organisatoren den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) zu einer Rede auf einer nächsten Kundgebungen einladen, wird das von der Menge mit einem Pfeifkonzert quittiert.

Ein anderes Bild der deutschen Wirklichkeit zeigt sich zur gleichen Zeit andernorts: In Köln, Stuttgart, Berlin, München und Würzburg gehen Tausende gegen Pegida und für ein buntes Miteinander auf die Straße. Vielfach auch im Dunkeln, denn aus Protest gegen Ausländerfeindlichkeit bleiben viele Gebäude unbeleuchtet.

Auch am Kölner Dom sind die Lichter aus. „Ich finde es gut, dass die Kirche ihre schöne Kulisse nicht als Motiv zur Verfügung stellt“, sagt Demonstrant Martin von Hören, der sich mit Tausenden anderen in der Domstadt einem geplanten Aufmarsch des Pegida-Ablegers Kögida entgegenstellt - und ihn dadurch letztlich auch verhindert.

Auch in Berlin verhindern 5000 Menschen einen geplanten Zug des Pegida-Ablegers Bärgida („Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“) vom Roten Rathaus zum Brandenburger Tor, das ebenfalls im Dunkeln liegt.

Und obwohl es in Stuttgart noch nicht einmal einen Aufruf zu einer Pegida-Kundgebung gegeben hat, gehen auch hier rund 8000 Menschen gegen die islamfeindliche Bewegung auf die Straße. Stuttgart sei und bleibe weltoffen, versichert Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) am Mikrofon. „In Stuttgart ist kein Platz für Menschen, die andere Menschen diskriminieren.“