Analyse: US-Notenbank Fed im Geldpolitik-Dilemma
Washington (dpa) - Wenn selbst ausgebuffte Börsengurus rund um den Globus sich verwundert die Augen reiben, dann muss etwas wirklich Überraschendes in der Wirtschaftswelt passiert sein. So war es dann auch am Mittwoch, als die US-Notenbank Fed etwas tat, was kaum jemand erwartet hatte: nämlich nichts.
Aus Mangel an Beweisen, dass es dem Jobmarkt und der Konjunktur in Amerika wirklich gut genug geht, macht die Federal Reserve mit ihrer ultralockeren Geldpolitik genauso weiter wie bisher. Sie druckt 85 Milliarden Dollar (rund 63 Mrd Euro) im Monat, pumpt sie mit dem Kauf von Anleihen in die Volkswirtschaft und hofft, dass dadurch mehr Bürger einen Arbeitsplatz bekommen.
Das „Nichtstun“ der Notenbanker erzeugte ein gewaltiges Echo. Medien witzelten, die Fed habe „kalte Füße“ bekommen. Aktienmärkte schossen auf Rekordhöhen, der Dollar verlor an Boden und Fachleute versuchten zu verstehen, was als nächstes passiert. Das scheint aber nicht einmal der scheidende Fed-Chef Ben Bernanke sagen zu können.
Er selbst hatte er die Erwartungshaltung auf das sogenannte Tapering, als das behutsame Abbremsen der Notenpresse, geschürt. Vor einigen Monaten ließ er eine allmähliche Kehrtwende von der ultralockeren Geldpolitik durchblicken - die unkonventionelle Konjunkturmaßnahme könne bis Mitte 2014 ein Ende finden. Doch plötzlich klingen seine Ankündigungen nicht mehr so gewiss.
Selbstkritisch erklärte Bernanke auf einer Pressekonferenz, die Fed sei in letzter Zeit „über-optimistisch“ gewesen, was das Wirtschaftswachstum angehe. Vor allem der Arbeitsmarkt sei „weit von dem entfernt, was wir alle gern sehen würden“, gab er zu Protokoll. Das klingt immer noch nicht gut für USA ein halbes Jahrzehnt nach Beginn der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Tatsächlich scheint die US-Wirtschaft auch nach den 800 Milliarden Dollar, die die Fed seit Bekanntgabe ihrer jüngsten Konjunkturspritze vor einem Jahr in den Markt gepumpt hat, nur kleine Fortschritte gemacht zu haben. Die Arbeitslosenquote sank zwar in der Zeit von 8,1 auf 7,3 Prozent. Doch das lag auch an der Rechenmethode. Tatsächlich hat oder sucht ein so kleiner Anteil der Bevölkerung einen Job wie zuletzt vor 35 Jahren. Die anderen Bürger haben zumeist aufgegeben.
Nicht nur die „Arbeitsmarktsituation insgesamt“ bereitet Bernanke Sorgen. Auch der anstehende Kampf um die Schuldenpolitik des Landes zwischen Präsident Barack Obama und dem Kongress wirft seine Schatten voraus. Es droht tatsächlich die Zahlungsunfähigkeit der USA. Eine ausbleibende Erhöhung der Schuldengrenze könnte sehr ernste Konsequenzen für die Finanzmärkte und die Wirtschaft haben, warnte der US-Notenbankchef.
Vor allem - so die Besorgnis der Zentralbanker - wollte man in dieser Situation nicht mit einer kleinen Geste über das Ziel hinausschießen. Auch wenige Milliarden weniger für Anleihenkäufe pro Monat hätten per Spiraleffekt die Liquidität viel deutlicher verknappen können als beabsichtigt, so die Begründung. Bernanke muss es wissen: Allein seit seiner Ankündigung einer möglichen Drosselung im Mai stiegen die US-Hypothekenzinsen um rund einen Prozentpunkt. In Schwellenländern kam es zu Währungskrisen, Aktienmärkte stotterten.
Doch nach der Nicht-Entscheidung von Mittwoch bleiben vielen Fragen offen. Etwa, ob Bernanke den Kurs der Notenbank überhaupt noch selbst ändert oder dies nach seinem wahrscheinlichen Abschied Ende Januar seinem Nachfolger überlässt. Und welche langfristigen Gefahren dieser unablässigen Flut an frischem Geld für die Stabilität der Volkswirtschaft haben könnten. Börsenexperten werden in den kommenden Wochen sicher wieder unzählige Theorien vorlegen. Einige warnen bereits vor neuen gefährlichen Preisblasen. Doch klarere Antworten über den Fortgang des geldpolitischen Kurses dürfte es frühestens nach der nächsten Fed-Sitzung Ende Oktober geben.