Analyse: US-Wahlkampf in Afghanistan
Washington (dpa) - Die schweren Panzerwagen im Hintergrund sollen es unmissverständlich klar machen: Dies ist keine beliebige Rede von US-Präsident Barack Obama. Es eine Ansprache des Commander-in-chief an die Nation, des Oberbefehlshabers der US-Streitkräfte an sein Volk.
Die Worte aus Afghanistan zur besten TV-Sendezeit tönen historisch. „Wir sind durch mehr als eine Dekade unter der dunklen Wolke des Krieges gegangen. Aber wir können das Licht eines neuen Tages am Horizont sehen.“ Obama verkündet den Erfolg gegen Al-Kaida.
Dennoch hatten seine Auftritte in Kabul und Bagram in der Nacht zu Mittwoch nichts Martialisches. Anders als sein Vorgänger George W. Bush neun Jahre zuvor im Irak-Krieg trug Obama keine Kampfuniform, um auf einem Flugzeugträger voreilig „mission accomplished“ (Auftrag ausgeführt) zu erklären. Stattdessen zeigte er sich mit weißem Hemd und roter Krawatte, zeitweise mit hochgekrempelten Ärmeln - scherzend mit US-Soldaten, respektvoll gegenüber seinem Gastgeber, dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, treu sorgend mit Blick auf sein kriegsmüdes Volk. Und das alles mit einer Lockerheit, die nur ein Obama kann.
So war der ganze nächtliche Sechs-Stunden-Besuch eine gelungene Inszenierung pünktlich ein Jahr nach der Tötung des Terrorführers Osama bin Laden. Dafür sorgte schon das Überraschungsmoment. Fast jeder wähnte den Präsidenten daheim in Washington, normale Treffen mit Vizepräsident Joe Biden und Pentagonchef Leon Panetta standen auf der Tagesordnung. Ein Täuschungsmanöver. Schon um Mitternacht war das Präsidentenflugzeug „Air Force One“ mit ausgeschalteten Scheinwerfern und verdunkelten Fernstern heimlich aus dem Hangar gerollt.
Selbst die Opposition zollte dem Präsidenten mitten im erbitterten Wahlkampf Respekt. Sein Gegenkandidat von 2008, Senator John McCain, äußerte sich ebenso positiv wie der wahrscheinliche Kontrahent bei der Wahl November, Mitt Romney: „Erfreut“ sei er, „dass Präsident Obama nach Afghanistan zurückgekehrt ist“. Ein klarer Punktsieg für den Amtsinhaber, den die Republikaner noch Stunden vorher scharf dafür kritisiert hatten, den Jahrestag der Bin-Laden-Tötung schäbig für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen. Zumal Obama öffentlich infrage stellte, ob Romney den Mut für die riskante Operation gehabt hätte.
Dabei ist natürlich auch Obamas Überraschungstrip nach Afghanistan als Teil der „Mission Wiederwahl“ zu verbuchen. „Selten hat ein Präsident die Rolle als Oberbefehlshaber mit der des Oberwahlkämpfers so anschaulich vermischt“, schrieb der Kolumnist Dan Balz am Mittwoch in der „Washington Post“. Es sei eine „machtvolle Demonstration der Vorteile“ gewesen, die ein Präsident im Wahljahr habe.
Dabei sei die Rede nicht einmal gut gewesen, meinten andere Kommentatoren. „Frustrierend schwach“, nannte sie gar die „New York Times“. „Wir sind zunehmend besorgt, dass Obama keine klare Strategie hat, um sicherzustellen, dass das Land nicht implodiert, wenn die Amerikaner weg sind“, hieß es in einem bösen Editorial in Bezug auf die Zukunft Afghanistans. Wie will er Afghanistans Sicherheitskräfte verbessern, wie die Korruption und Inkompetenz der Regierung angehen?
Ähnlich kritisch sieht das Pentagon die Zukunft in Afghanistan. Ausgerechnet am Tag der Obama-Reise veröffentlichte es seinen halbjährlichen Lagebericht an den Kongress, der trotz aller Fortschritte akute und langfristige Herausforderungen in dem Land sieht. Taliban-Rebellen und Al-Kaida-Terroristen würden weiterhin ungestraft aus dem benachbarten Pakistan operieren. Zudem schränke die weit verbreitete Korruption die Effektivität sowie Legitimität der Regierung ein und verstärke die „Botschaft“ der Rebellen.
Angesichts dieser harten Mahnungen muss Obama nach seiner Sternstunde in Afghanistan wahrscheinlich bald wieder auf den Boden der harten Realität zurückkehren. Spätestens beim Nato-Gipfel am 20. und 21. Mai in seiner Heimatstadt Chicago werden schwierige Fragen über die Zukunft des Kriegseinsatzes am Hindukusch auf den Tisch kommen. Von „mission accomplished“ dürfte keine Rede sein.