Analyse: Verbotene Liebe versetzt Washington in Aufruhr
Washington (dpa) - So hat sich US-Präsident Barack Obama die erste Woche nach seiner Wiederwahl garantiert nicht vorgestellt. Statt sich erstmal ein wenig auf seinem großen Triumph ausruhen zu können, bereiten ihm Fehltritte seiner Top-Leute im Anti-Terror-Kampf immense Sorgen.
Doch nicht nur der Präsident, die gesamte US-Hauptstadt verfolgt nervös die immer neuen Enthüllungen: Was kommt noch alles ans Licht?
Erst tritt CIA-Chef David Petraeus völlig überraschend wegen einer außerehelichen Affäre mit seiner Biographin zurück. Dann gerät auch noch Obamas Top-General John Allen ins Visier von Ermittlern - und der Boulevard-Medien. Der verheiratete Chef der internationalen Schutztruppen Isaf soll „unangemessene“ E-Mails an eine ebenfalls verheiratete Frau in Florida geschickt haben.
Schon der Petraeus-Skandal ließ den Mächtigen in Washington die Kinnlade herunterklappen. Doch dass sich das Netz aus FBI-Ermittlungen, Eifersuchtsdramen und schlüpfrigen E-Mails nun auch um den international respektierten Vier-Sterne-General Allen zusammenzieht, bringt das Bild vom wie geschmiert laufenden Verteidigungsapparat der USA vollends ins Wanken. Selbst die Nato ist betroffen: Allen soll eigentlich ihr Oberkommandeur in Europa werden.
Der Obama-Korrespondent des TV-Senders NBC, Chuck Todd, spricht kopfschüttelnd von einer „unglaublichen Seifenoper“. Die Rede war am Dienstag von 20 000 bis 30 000 Nachrichten „mit potenziell unangebrachtem Inhalt“, die Allen an Jill Kelley geschickt habe - jene Frau aus Petraeus' Freundeskreis, die die Ermittlungen wegen dessen Liebesaffäre ins Rollen gebracht haben soll. Details ließen sich bisher weder das FBI noch das Pentagon entlocken, das die Ermittlungen übernommen hat. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Es wird lange dauern, bis alle Enden der pikanten Geschichte entwirrt sind. Stimmen bisherige Medienberichte, dann ist Kelley die Frau im Mittelpunkt des Skandals. Die Freundin der Petraeus-Familie schaltete das FBI ein, weil sie sich von E-Mails belästigt fühlte. Diese kamen von Paula Broadwell, der mutmaßlichen Geliebten von Petraeus. Offenbar war sie eifersüchtig auf Kelley. Die Bundespolizei fand aber nicht nur Hinweise auf die Affäre des CIA-Chefs mit seiner Biografin - sondern auch massenhaft Mails von Allen an Kelley.
Der weist alle Anschuldigungen von sich und verbarrikadiert sich nach Medienberichten erstmal hinter Top-Anwälten. Auch US-Verteidigungsminister Leon Panetta will keine voreiligen Schlüsse zulassen. Doch Allens Nominierung als Nato-Oberkommandeur durch den US-Senat wollen Obama und er trotzdem erstmal auf Eis legen. Die Erfahrungen der letzten Tage zeigen: Niemand weiß, was als nächstes passieren kann.
Obama, der Oberbefehlshaber des US-Militärs, muss sich fragen, ob er seinen amtierenden und pensionierten Vier-Sterne-Generälen wie Petraeus und Allen eigentlich vertrauen kann. Schon ihr Vorgänger als Isaf-Oberkommandeur in Afghanistan, Stanley McChrystal, fiel in Ungnade, als er sich unflätig über den Präsidenten und andere Regierungsmitglieder äußerte. Davor war es David McKiernan, den das Pentagon unsanft von seinem Posten entfernte.
Eigentlich wollte sich Obama nach der Wahl als erstes um eine Lösung für die US-Haushaltsprobleme kümmern. Nun muss er vor allem den Schaden für seine Verteidigungspolitik begrenzen. Fachleute schließen nicht aus, dass der Skandal noch weitere Kreise zieht.