Analyse: Warten, bis die Waffen kommen
Bengasi (dpa) - An der libyschen Front bewegt sich schon seit Wochen nicht mehr viel. Doch die Aufständischen geben die Hoffnung nicht auf. Sie rechnen fest damit, dass ihnen befreundete Staaten schon bald moderne Waffen schicken werden, mit denen sich das Blatt zu ihren Gunsten wenden könnte.
„Bauteile für Bulldozer aus Nordkorea, Bestimmungsort: Tripolis“, steht auf den länglichen Holzkisten, die sich im Innenhof einer Kaserne im Westen der libyschen Rebellenhochburg Bengasi stapeln. Doch in den Kisten befinden sich keine Achsen, sondern Grad-Raketen mit einer Reichweite von 40 Kilometern. „Als die Truppen von Gaddafi am 19. März versuchten, Bengasi zu erobern, brachten sie ihre Waffen hierher, doch dann griff die Nato ein und sie mussten fliehen, einen Teil ihrer Waffen konnten sie nicht mitnehmen, so sind uns diese Raketen in die Hände gefallen“, erklärt der ehemalige Luftwaffenkommandeur Ahmed al-Bani, der jetzt Militärsprecher der Rebellen ist.
Da es den Aufständischen an Militärfahrzeugen und funktionstüchtigen Raketenwerfern fehlt, fahren die Rebellen an diesem kühlen Frühlingstag mit einer etwas improvisierten Konstruktion an die Front, die hinten auf einem Kastenwagen montiert ist. „Wir haben noch nicht viel Erfahrung mit diesem Raketentyp“, räumt der Offiziersanwärter Mohammed Saleh (25) ein, der seine Ausbildung in dieser Kaserne im vergangenen Jahr begonnen hatte. „Wir haben hier früher nur mit drei Waffengattungen trainiert: Kalaschnikow, Panzerfaust und FN-Maschinengewehre, etwas anderes kannten wir nicht.“
Salehs Uniform sitzt schlecht. Er sieht müde aus. Doch der junge Mann mit dem pockennarbigen Gesicht ist hochmotiviert. „Wir kämpfen, bis Muammar al-Gaddafi fällt, wir wollen ein freies Libyen“, sagt er. Er fühlt sich den Ärzten, Studenten und Mechanikern, die sich freiwillig zur Front gemeldet haben, zwar professionell überlegen. Doch sie haben das gleiche Ziel: den Mann zu stürzen, der ihr Land 42 Jahre lang mit fast uneingeschränkter Macht beherrscht hat.
Doch nicht alle Soldaten teilen seine Meinung. Auf dem Militärgelände von Al-Radschba außerhalb von Bengasi, wo Mechaniker und Soldaten alte, beschädigte Panzer wieder flott machen, regt sich Unmut. Die meisten älteren Offiziere, die hier arbeiten, dienen zwar mit Überzeugung der Revolution. Doch einige der jüngeren Männer in Uniform, die hier zwischen sowjetischen Panzern herumlungern, tun ihren Dienst mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich will Gaddafi“, sagt einer von ihnen leise. Er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille. Seinen Namen will er nicht nennen.
Die internationale humanitäre Hilfe für das Bürgerkriegsland Libyen ist inzwischen in Gang gekommen. Bis auf wenige Ortschaften im Westen des Landes erhalten jetzt alle Städte zumindest sporadisch Hilfslieferungen. Doch aus Sicht der Rebellenführung in Bengasi ist diese Hilfe so als würde man einem Todkranken Kopfschmerztabletten verschreiben. Sie wollen von den Nato-Staaten und ihren Verbündeten nicht nur Medikamente und Flüchtlingstransporte. Sie wollen vor allem militärische Hilfe: Anti-Panzer-Raketen, Nachtsichtgeräte und andere Ausrüstungsgegenstände.
„Im Moment führen wir einen Verteidigungskrieg, wir halten unsere Stellungen, nicht mehr und nicht weniger, so lange bis man uns die Waffen gibt, die wir brauchen, um weitere Städte zu befreien“, sagt Al-Bani. Er ist optimistisch und hofft, dass diese Hilfe bald kommt. Doch er betont gleichzeitig: „Wenn es nötig ist, um Gaddafi und seine Söhne loszuwerden, dann harren wir auch noch ein ganzes Jahr aus.“ Die Kritik einer Mitglieder des Übergangsrates in Bengasi an der Nato lässt er nicht gelten: „Natürlich könnte es immer mehr sein, aber die Nato macht ihren Job sehr gut, und das versteht jeder, der militärische Kenntnisse hat.“
Noch lieber wäre den Rebellen jedoch ein größeres Engagement der Amerikaner, die über ein großes Arsenal an Präzisionswaffen verfügen. „Mit den A-10-Kampfflugzeugen der US-Luftwaffe könnte man die Angreifer in Misurata ausschalten. Das ist es, was wir wollen“, erklärt Al-Bani. Doch auf die Frage, was die US-Regierung zu diesem Wunsch sagt, antwortet der ansonsten so redselige Sprecher nur: „Kein Kommentar.“