Analyse: Welche Folgen hat der Terror für Deutschland?

Berlin/Mainz (dpa) - Der Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ wird von der extremen Rechten in Frankreich ausgenutzt, um die Todesstrafe zu fordern und dem islamischen Fundamentalismus „den Krieg zu erklären“.

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Auch hierzulande ist eine wachsende Polarisierung zu beobachten.

Wie hat die deutsche Salafisten-Szene auf den Terrorangriff reagiert?

Sehr unterschiedlich. In den Internet-Foren findet man Kommentare wie „na endlich rächt jemanden den Propheten“, aber auch Verschwörungstheorien wie „das war der israelische Mossad“. Der deutsche salafistische Prediger Pierre Vogel hat eine nach Ansicht von Sicherheitsexperten besonders perfide Botschaft lanciert. Er hat die deutschen Muslime zwar aufgefordert, sich jetzt ruhig zu verhalten und „sich nicht provozieren zu lassen“. Begründet hat er dies jedoch damit, dass ansonsten angeblich Pogrome gegen Muslime zu befürchten wären. Er sagt: „Man möchte uns hier ins offene Messer laufen lassen.“ Als Beispiel führt Vogel das Attentat von Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath in Paris 1938 an, das die Nazis zum Vorwand für die Pogromnacht gegen jüdische Bürger nutzten.

Und was machen die Rechtsextremen und Islam-Hasser jetzt?

Im Gegensatz zu den im Bundestag vertretenen Parteien, die vor Panikmache und Pauschalurteilen warnen, werten rechte Gruppen diesen Anschlag nun als Bestätigung für ihre Warnungen vor den angeblichen Gefahren einer muslimischen Einwanderung. Die rechtsextreme Partei Pro NRW will die Ereignisse von Paris nach eigenen Worten zum Anlass nehmen, um „die überparteilichen islamkritischen Bündnisse in Nordrhein-Westfalen nach Vorbild der Dresdner Pegida mit aller Kraft zu unterstützen“. In Frankreich nutzt die rechtsextreme Partei Front National den Anschlag ebenso für ihre Zwecke wie die Jugendbewegung „Bloc identitaire“, die schon seit Jahren vor einem „Anti-weißen-Rassismus“ warnt.

Ist zu erwarten, dass diese beiden Gruppen demnächst direkt aufeinander losgehen werden?

Dieses Risiko besteht schon längst, wobei die Polizei versucht, gewalttätige Konfrontationen zu verhindern. Der Salafist Murat K. hatte 2012 bei einer Kundgebung von Pro NRW, auf der Mohammed-Karikaturen gezeigt worden waren, zwei Polizisten mit einem Messer verletzt. Möglicherweise wird das Risiko, dass radikale Salafisten und Rechtsextreme die Konfrontation auf der Straße suchen, jetzt etwas ansteigen.

Welchen religiösen Traditionen folgen die Muslime in Deutschland?

In ganz Europa ist durch die Migration aus verschiedenen islamischen Staaten eine Art „Hybrid-Islam“ entstanden, der sich aus verschiedenen Traditionen speist. Dies gilt allerdings vor allem für den Salafismus. Diese radikale Strömung des sunnitischen Islam, zu der sich in Deutschland nur eine Minderheit von Muslimen bekennt, beschwört die Einheit der islamischen Nation („Umma“) - ihr gehören sowohl Türken an als auch Araber, Kurden und Muslime aus den früheren Sowjetrepubliken. Die meisten frommen Muslime, die in Deutschland leben, praktizieren ihre Religion jedoch in Gemeinden, die ethnisch und konfessionell eher homogen sind. Einige Experten sehen eine Schnittmenge zwischen den radikalen Salafisten und kriminellen Milieus. Inzwischen liegen erste Untersuchungen zur „Radikalisierung in den Justizvollzugsanstalten“ vor.

Was könnten und sollten islamische Theologen tun, um die Radikalisierung von Muslimen zu verhindern?

Die meisten Migrationsforscher und Islamwissenschaftler begrüßen die jüngsten Anstrengungen, islamische Theologie auch an deutschen Universitäten zu lehren sowie einen von den Herkunftsländern der Migranten unabhängigen modernen islamischen Religionsunterricht an Schulen zu etablieren. Marwan Abou-Taam, Islamwissenschaftler beim Landeskriminalamt in Mainz, wünscht sich eine stärkere Argumentation orthodoxer sunnitischer Religionsgelehrter gegen den Salafismus. Er sagt: „Ich fürchte, ohne einen Hausputz in der islamischen Theologie kommen wir nicht weiter.“

Sind die französischen Vorstädte mit deutschen Vierteln mit hohem Migrantenanteil vergleichbar?

Selbst deutsche Problemviertel sind mit den französischen Vorstädten, die aus ehemaligen Slum-Vierteln entstanden sind, nicht zu vergleichen, betont die Berliner Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami. Sie sagt jedoch: „Das heißt nicht, dass es hier keine Viertel mit hohem Migrantenanteil und sozialen Problemen gibt.“ Der Migrationsforscher Jochen Oltmer (Universität Osnabrück) betont: „Die Rekrutierungsmilieus für radikale Gruppen sind in Frankreich viel größer als bei uns“. Die hierzulande im politischen Diskurs oft beschworenen „Parallelgesellschaften“ sieht er in Deutschland nicht, in Frankreich teilweise aber schon. Es sagt: „Da gibt es Stadtteile, da kommt man gut klar, ohne ein Wort Französisch zu sprechen.“