Analyse: Wendepunkt bei Frankreichs Wahlen
Paris/Brüssel (dpa) - In der Trauer war Frankreich vereint. Doch der politische Waffenstillstand ist nach dem Tod des Serienkillers von Toulouse vorbei.
Der Kampf um das Präsidentenamt geht mit unverminderter Härte weiter. Während der als siebenfacher Mörder gesuchte Mohamed Merah bei einer heftigen Schießerei mit Elitepolizisten in Toulouse stirbt, bläst der Chef der Regierungspartei UMP bereits zum Angriff. Jean-François Copé wirft dem sozialistischen Herausforderer François Hollande und dem Zentrumspolitiker François Bayrou vor, „die Trauerzeit nicht eingehalten zu haben“.
Bayrou, ein früherer Bildungsminister, hatte nach dem Tod von drei Kindern und einem Lehrer zu Wochenbeginn vor einer jüdischen Schule in Toulouse ein „wachsendes Klima der Intoleranz“ in seinem Heimatland beklagt - und dafür massiv Kritik geerntet.
Noch am Mittwoch waren die wichtigsten Kandidaten bei den Präsidentenwahlen zu einer bewegenden Militärzeremonie ins südfranzösische Montauban gereist. Sie nahmen dort von drei Soldaten Abschied, die ebenfalls von dem Serienmörder erschossen worden waren.
Bei den Wahlen gibt es nun ein „Vor-Toulouse“ und ein „Nach-Toulouse“: Der frühere sozialistische Premier Laurent Fabius kündigte am Donnerstag im TV-Sender France 2 bereits im Falle eines Sieges einen harten Kurs bei Bekämpfung der Kriminalität an. „Wir werden hart mit dem Verbrechen sein.“
Amtsinhaber Nicolas Sarkozy versprach im Élyséepalast mit ernster Miene eine schärfere Überwachung: „Jede Person, die regelmäßig im Internet Webseiten konsultiert, die den Terrorismus predigen, die zu Hass und Gewalt aufrufen, wird bestraft.“ Zudem müsse verhindert werden, dass in Gefängnissen fundamentalistisches Gedankengut verbreitet werde.
Experten und einige politische Beobachter meinen, dass die schwere innenpolitische Krise Sarkozy nützen dürfte. „Die Affäre um den Mörder von Toulouse und Montauban ist ein Erfolg für den scheidenden Präsidenten“, urteilt die einflussreiche Tageszeitung „Le Monde“ (Donnerstag). Gefolgsleute seien angehalten zu schweigen - so könne man am besten politischen Nutzen ziehen.
Auch der Politologe Gael Sliman vom Meinungsforschungsinstitut BVA meint, dass Sarkozy eher gestärkt aus dem Terrordrama hervorgehen dürfte. „Die Wahl dreht sich nicht mehr um die Popularität von Kandidaten, sondern um deren Glaubwürdigkeit in einer Zeit von Schwierigkeiten“, sagte er der belgischen Tageszeitung „Le Soir“ (Donnerstag). Laut einer neuen Umfrage hat Sarkozy Herausforderer Hollande bei den Wahlabsichten in der ersten Runde bereits überholt.
Bis zum ersten Wahlgang am 22. April ist genau noch ein Monat Zeit. Experten wie Sliman warnen davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Es sei nicht ausgemacht, dass der Streit um die innere Sicherheit tatsächlich den restlichen Wahlkampf bestimmen werde.
Frankreich wird sich auf jeden Fall einer Debatte über Islamismus stellen müssen. Die Spitzenkandidatin des fremdenfeindlichen Front National (FN), Marine Le Pen, gibt schon einmal der Ton vor. „Das Profil von Herrn Merah war anscheinend absolut karikaturenhaft“, meint sie, „ein Mann, der 15 Mal verurteilt war.“ Seine Aufenthalte in Pakistan und Afghanistan seien bekanntgewesen.
Die spanische Zeitung „El Pais“ (Donnerstag) warnt bereits: Frankreich dürfe im diesem schwierigen Augenblick nicht „der Versuchung der Fremdenfeindlichkeit“ erliegen.