Analyse: Wer ist die AfD und wenn ja, wie viele?
Berlin (dpa) - Die AfD ist mit dem Anspruch angetreten, vieles anders zu machen als die von ihr geschmähten „Altparteien“. Diesem Anspruch wird sie in diesen Tagen gerecht: So viel internen Zoff wie bei der Truppe von Jörg Meuthen und Frauke Petry findet man derzeit in keiner anderen deutschen Partei.
Der dauerfreundliche Meuthen geht, wenn er den Namen Petry hört, durch die Decke. Die Parteichefin setzt sich in Stuttgart als Retterin der Landtagsfraktion in Szene. Damit unterstellt sie Meuthen Führungsschwäche.
Dabei hatte es eigentlich so gut angefangen mit den beiden. Ein Blick zurück: Juli 2015. Petry bootet auf einem stürmischen Parteitag in Essen mit Hilfe des rechtsnationalen Flügels Parteigründer Bernd Lucke aus. Meuthen wird neben Petry in die Parteispitze gewählt. Der Volkswirt mit dem verbindlichen Lächeln soll die Reste des liberal-konservativen Flügels in der AfD halten.
Zunächst gibt es keine Reibungsverluste. Petry ist das Gesicht der Partei. Meuthen widmet sich der Neuorganisation des durch den Auszug der Lucke-Anhänger ausgedünnten AfD-Landesverbandes in Baden-Württemberg.
Als er damit fertig ist, wird Meuthen zunehmend im Bundesvorstand aktiv. Auch zu einigen Landesvorsitzenden baut er gute Kontakte auf. Zu Meuthens neuem Kreis gehören Parteivize Alexander Gauland und Björn Höcke, der Rechtsaußen aus Thüringen. AfD-Funktionäre, die Petry „Charakterfehler“ und „politische Inhaltslosigkeit“ bescheinigen, setzen jetzt auf Meuthen. Sie wollen Petry mit seiner Hilfe entmachten. Nicht mit einem lauten Knall, so wie damals bei Lucke, sondern leise, scheibchenweise.
Petry will sich das nicht gefallen lassen. Ihr Abwehrkampf setzt da an, wo es Meuthen besonders weh tut: in seiner Landtagsfraktion. Glaubt man Meuthen und seinen Mitstreitern, dann hat Petry nichts unversucht gelassen, um den Streit um den wegen antisemitischer Äußerungen umstrittenen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon eskalieren zu lassen. Sie selbst stellt das ganz anders dar.
Am Dienstag steigt Petry ins Auto. Meuthen will sie nicht in Stuttgart haben. Eine gemeinsame Pressekonferenz lehnt er ab. Petry fährt trotzdem zum Stuttgarter Landtag. In der Nacht veröffentlicht sie eine Pressemeldung. Darin wird suggeriert, Petry habe nun erreicht, was Meuthen nicht geschafft habe: Gedeon zum freiwilligen Austritt aus der Fraktion zu bewegen. „Das Agieren von Frau Petry in Stuttgart hat die Lage nicht einfacher gemacht“, stellt Gauland fest.
Am Mittwoch ziehen sich Meuthen und Petry in Stuttgart zu einem Vier-Augen-Gespräch zurück. Doch aus der Schadensbegrenzung wird nichts. Nach dem Treffen gründet Meuthen eine eigene, neue Fraktion mit dem Namen Alternative für Baden-Württemberg. Petry sagt: Die Rest-AfD ist die wahre AfD. Dann reist sie ab.
An eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der beiden Parteichefs ist nach diesen Vorfällen wohl nicht mehr zu denken. Steht jetzt eine weitere Spaltung bevor, so wie damals nach dem Streit mit Lucke? Ein altgedienter AfD-ler winkt ab. Er sagt: „Ich denke, in den Gremien werden Meuthen und Petry weiter zusammenarbeiten, denn schließlich will sich keiner von beiden vorwerfen lassen, er sei nicht teamfähig.“
Dennoch: Die Frage, wer für die „wahre“ oder „echte AfD“ sprechen darf, stellt sich nicht nur in Stuttgart, sondern auch auf Bundesebene. Ein Beschluss des AfD-Bundesvorstandes zur Spaltung der Fraktion in Stuttgart wurde am Dienstag ohne Petry gefasst. Petry, die auch AfD-Fraktionschefin in Sachsen ist, hat nach einem Zerwürfnis mit Parteisprecher Christian Lüth ein eigenes Pressebüro eingerichtet.
Der Streit treibt mitunter so absurde Blüten, dass sich Filmfreunde an den berühmten Dialog aus dem Kultfilm „Das Leben des Brian“ erinnert fühlen: „Seid Ihr von der Jüdäischen Volksfront?“ „Quatsch, wir sind die Volksfront von Judäa.“
In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo im September Landtagswahlen anstehen, ist man über die öffentlich ausgetragenen Rivalitäten jedenfalls nicht begeistert. „Wir werden im Wahlkampf natürlich immer wieder darauf angesprochen“, klagt der Berliner Landesvorsitzende Georg Pazderski. Seine Standardantwort laute dann: „Da gibt es zwischenmenschliche Probleme, aber die Sacharbeit läuft trotzdem ganz normal weiter.“