Analyse: Wo ist die rote Linie der EZB bei Griechenland?

Frankfurt/Main (dpa) - Eigentlich entscheiden Europas Währungshüter unabhängig. Eigentlich. Das Gezerre um Griechenlands Zukunft macht deutlich, wie schmal der Grat für die Europäische Zentralbank (EZB) tatsächlich ist.

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Nach dem Marathongipfel vom Wochenende und der Parlamentsentscheidung in Athen vom Donnerstagmorgen gibt es gute Aussichten auf eine politische Lösung des Schuldenstreits mit Athen. Zwar ist damit das Schicksal Griechenlands nicht endgültig entschieden, doch der Mehrheit im EZB-Rat reichen die jüngsten politischen Annäherungen: Erstmals seit Ende Juni gewährt die Notenbank den klammen griechischen Banken zusätzliche Notkredite.

„Die EZB verweist immer auf ihr Regelwerk, wenn es um die Ela-Notkredite geht. Aber tatsächlich folgt die EZB den Staats- und Regierungschefs“, kommentiert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Wir sehen nach wie vor keinen Reformdurchbruch in der Breite. Die EZB bleibt mehr denn je als wirtschaftspolitischer Ausputzer eingespannt.“

Am Donnerstag billigte die EZB weitere 900 Millionen Euro Notkredite, zuletzt lag der Rahmen bei knapp 90 Milliarden Euro. Viele Ökonomen sind überzeugt: Ohne die milliardenschweren Hilfen („Emergency Liquidity Assistance“/Ela) wären Griechenlands Banken längst pleite.

Die Regierung von Alexis Tsipras wäre viel früher gezwungen gewesen, sich in den Verhandlungen mit den Geldgebern zu bewegen. Kritiker werfen der Notenbank vor, das Spiel viel zu lange mitgespielt und damit ihre eigene Glaubwürdigkeit beschädigt zu haben.

„Die EZB ist schon lange zu weit gegangen. Sie macht Politik, und das ist nicht ihre Aufgabe“, kritisiert der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Clemens Fuest. EZB-Präsident Mario Draghi habe durch die stetige Erhöhung des Ela-Rahmens die Kapitalflucht aus Griechenland überhaupt erst ermöglicht. Hätte die EZB rechtzeitig den Stecker gezogen, wäre Athen früher gezwungen gewesen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, meint Fuest.

Immerhin wurden in den vergangenen beiden Wochen auch die Signale aus Frankfurt in Richtung Athen deutlicher: Nach dem Platzen der Verhandlungen zwischen der Regierung Tsipras und den Geldgebern Ende Juni fror der EZB-Rat das Ela-Volumen bei knapp 90 Milliarden Euro ein. Gut eine Woche später verschärfte die Notenbank die Bedingungen, zu denen die Banken Ela-Kredite von der griechischen Nationalbank erhalten: Eine Bank muss mehr Anleihen als Sicherheiten hinterlegen.

Nun also die Kehrtwende: EZB-Präsident Mario Draghi lobt die jüngsten politischen Fortschritte und rechtfertigt damit die zusätzlichen Darlehen. Die EZB könne ihre Entscheidung nicht von Zweifeln abhängig machen, ob die griechische Regierung auch wirklich gewillt und fähig sei, die Reformen tatsächlich umzusetzen.

Eigentlich ist Ela nur als vorübergehende Unterstützung im Grunde gesunder Banken gedacht. „Die Zweifel an der Solvenz der griechischen Banken sind legitim und nehmen jeden Tag zu“, befand jedoch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann vergangene Woche. Auch sein französischer Kollege Christian Noyer betonte, die Hellas-Banken stünden am Rande des Zusammenbruchs. Aber die EZB habe ihre Regeln maximal ausgeschöpft und könne nicht unbegrenzt Risiken auf sich nehmen, sagte Noyer Anfang vergangener Woche dem Radiosender Europe 1: „Unsere Regeln zwingen uns dazu, an dem Punkt sofort aufzuhören, wenn es keine Aussicht auf eine politische Einigung für ein Programm gibt oder wenn das griechische Bankensystem bröckelt.“

Nach der Zustimmung der Eurogruppe zu kurzfristigen Krediten bis Mitte August kann Griechenland am 20. Juli 3,5 Milliarden Euro Staatsanleihen tilgen, die von der EZB gehalten werden. Die Europartner retteten damit Athen vor der Pleite.

Der Kurs der EZB in Sachen Griechenland bleibt umstritten. Schon vor der Entscheidung vom Donnerstag hatte LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert betont: „Eine Erhöhung der Ela-Kredite verbietet sich eigentlich zwingend laut den Statuten der EZB.“ Denn nach Angaben der Ratingagentur Fitch drohten 36 Prozent des Kreditbestandes der griechischen Banken auszufallen, mancherorts sei den Banken das Bargeld wohl schon ausgegangen.