Analyse: Zum Abschied Pfiffe und Proteste
Berlin (dpa) - Die Gäste waren noch gar nicht da im Schlosspark von Bellevue, und auch das Musikkorps der Bundeswehr noch nicht, aber die Trillerpfeifen und Tröten und Vuvuzelas waren schon aktiv.
Als dann zum Auftakt des Großen Zapfenstreichs für Christian Wulff der erste Marsch ertönte, da kämpften Bundeswehr und Demonstranten um die akustische Lufthoheit am Spreeufer. Der Abschied für Christian Wulff - drei Wochen nach seinem Rücktritt - verlief anders als geplant.
Mit ernstem Gesicht, vielleicht ein bisschen gerührt, verfolgte der Bundespräsident a.D. die Zeremonie, die er sich so sehr gewünscht hatte. In der ersten Reihe der Zuschauer Wulffs Frau Bettina, Kanzlerin Angela Merkel und der große Teil des Kabinetts. Fast ein bisschen verloren wirkten die knapp 200 Gäste auf dem großen Rasen, viele von ihnen Mitarbeiter des Präsidialamtes. Am Ende schienen manche doch auch genervt von den Protestgeräuschen. Die „Pfui“- und „Schande“-Rufe waren einfach nicht zu überhören.
Zumindest vor dem Zapfenstreich, im Inneren des Schlosses, hatte es aber doch einen würdigen Abschied gegeben. Falls es Christian Wulff gelockt haben sollte, in seiner kurzen Rede zurückzuschlagen gegen die, die ihn seit Monaten mit Häme und Kritik überschütten, dann hat er der Versuchung widerstanden. Sogar ein Hauch von Humor war zu spüren, als der jüngste Ex-Bundespräsident der Republik den Dichter Wilhelm Busch zitierte - mit dem berühmten Satz: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Eigentlich habe er sich so einen Abschied ja für 2015 vorgestellt, aber erstens...
Enttäuscht wurden auch die, die ein Wort zum umstrittenen Ehrensold und zu den Pensionsansprüchen des 52-Jährigen erwartet hatten. Dazu schwieg sich Wulff in seiner kurzen Ansprache aus. Also auch kein Verzicht auf die 199 000 Euro im Jahr, die ihm viele nicht gönnen. Aber immerhin: „Ich gehe mit dem Gefühl der Neugier und der Vorfreude auf das, was kommt.“
Das Zeremoniell des Großen Zapfenstreichs ist Takt für Takt präzise festgelegt. Oberstleutnant Volker Wörrlein, Chef des Stabsmusikkorps, hat den Ablauf schon oft exerziert. Und die Männer und Frauen der Bundeswehr ließen sich auch nicht durch Protestgeheul aus dem Konzept bringen. Zunächst tritt die „Perlenkette“ an, die Reihe der Fackelträger. Dann erklingt der „Yorksche Marsch“. Die Kommandos sind eindeutig. „Stillgestanden“, „Augen geradeaus“, „Rührt Euch“ und schließlich „Helm ab zum Gebet“.
Die Serenade umfasst vier Musikstücke: Der „Alexandermarsch“ von Andreas Leonhardt ist der Marsch der 1. Panzerdivision in Hannover. „Over the rainbow“ ist durch Judy Garland bekannt geworden. Jüngere kennen das Stück womöglich nur in der anrührenden Version des Hawaiianers Israel Kamakawiwo'ole. Dann „Da berühren sich Himmel und Erde“ von Christoph Lehmann und die fast unvermeidliche Ode „An die Freude“ von Ludwig van Beethoven.
Es waren nicht viele, die dem Bundespräsidenten a.D. in diesen Tagen Respekt erwiesen. Bundesratspräsident Horst Seehofer tat es am Donnerstagabend auf eine Weise, die Wulff gefallen haben dürfte. „Wichtig war Ihnen der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft - zwischen Arm und Reich, Alt und Jung, Behinderten und Nichtbehinderten, Ost und West, Einheimischen und Zugewanderten.“
Auch Kenan Kolat, der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, freute sich, beim Zapfenstreich dabei zu sein. Und er würdigte Wulffs Eintreten für Integration und religiöse Toleranz.
Viel war zuvor von Peinlichkeit die Rede, die Wulff dem Land mit einem Verzicht auf den Zapfenstreich hätte ersparen können. Genüsslich wurden die Absagen aufgezählt - auch von Menschen, die wohl gar nicht eingeladen waren. Oder gerne abgesagt hätten, wenn sie eingeladen worden wären. Peinlich fanden manche auch die fortgesetzte Debatte über Wulffs Ehrensold und darüber, ob ihm der festliche Abschied überhaupt zusteht. Vom letzten Akt einer „Hinrichtung“ wurde gesprochen.
Da regt sich auch Mitleid mit dem Mann, der noch gar nicht richtig angekommen war in seinem Amt, und nach 20 Monaten wieder gehen musste. Wohl unvermeidlich, dass nun jede Liedzeile aus Wulffs Abschiedssongs daraufhin abgeklopft wurde, ob sie für einen Hinweis auf seine Gemütslage taugt, oder zumindest für einen Kalauer. „Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu“ heißt es etwa im Kirchentagslied „Da berühren sich Himmel und Erde“. Wie Wulffs persönliche Zukunft aussieht, das weiß wohl noch nicht einmal er selbst.