Analyse: Zweifel an Verfassungsschutz wächst
Berlin (dpa) - Die Zweifel der Parlamentarier am Verfassungsschutz wachsen weiter und weiter. Seit fünf Monaten untersucht ein Ausschuss des Bundestages, wie es zur Neonazi-Mordserie kommen konnte.
An diesem Mittwoch stehen den Mitgliedern 25 Aktenordner beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Berlin-Treptow zur Verfügung. Aufschluss erhoffen sich die Abgeordneten über einen unerhörten Verdacht.
„Das Misstrauen ist da, dass im Umfeld der Zwickauer Drei V-Leute geführt wurden“, sagt Grünen-Obmann Wolfgang Wieland. „Das ist der GAU, das hätte nicht passieren dürfen“, meint Wieland schon mit Blick auf die bloße Möglichkeit.
Es ist die Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz, die bisher unmöglich Erscheinendes möglich erscheinen lässt. War vielleicht sogar Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos oder Beate Zschäpe selbst einmal eine Vertrauensperson? Wieland will das nicht ausschließen - endgültige Klarheit darüber, wie nah der Verfassungsschutz an der Zwickauer Zelle war, werde es vielleicht aber nicht geben. Am Donnerstag erhoffen sich die Parlamentarier Aufschluss vom Noch-Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm und von dem Beamten, der die Aktenvernichtung anordnete.
Ein anderes Ausschussmitglied spricht von „Verschwörungstheorien“. Ein weiteres möchte sich gar nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn die Verfassungsschützer schon früh nahe an den Terroristen dran gewesen wären. Vielleicht war die verdeckte Ermittlung aber auch nur ein Reinfall und die Aktenvernichtung kurz nach dem Auffliegen der Terrorzelle nur sehr unsensibel? „Wir wissen ja nicht, ob es Dusseligkeit, Dummheit oder Vorsatz war“, sagt SPD-Obfrau Eva Högl.
Von allen Seiten kommt der Ruf, die Behörde in der Krise nun umzukrempeln. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verspricht Reformen. Wer Fromms Nachfolger werde, sei im Vergleich zu den Strukturen nachrangig. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) spricht von einem Eigenleben im Inneren der Behörde.
Währenddessen mahlt die Aufklärungsmaschine des Untersuchungsausschusses weiter - weitere peinliche Fragen zum Verfassungsschutz und den Ermittlungen kommen hoch. So ging der Verfassungsschutz schon kurz nach dem Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße 2004 auf die Ermittler zu - aber rückte offenbar nicht mit eigenen Erkenntnissen heraus.
Linke-Obfrau Petra Pau zitiert eine Akte, nach der der Verfassungsschutz schon früh Hinweise hatte. Der damals zuständige Kriminalhauptkommissar Markus Weber sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, diese Informationen bekommen zu haben.“ Es habe zwar Kontakt mit dem Verfassungsschutz gegeben, aber wann und wessen Inhalts genau, könne er nicht mehr sagen.
Ein rechtsextremer Hintergrund des Anschlags? Weber meint, in diese Richtungen liefen Ermittlungen nicht. „In Richtung fremdenfeindlicher Hintergrund zunächst mal nichts.“ Und danach? „Es ist ein Aspekt gewesen, der in den Ermittlungen berücksichtigt wurde, ein Aspekt unter vielen.“ SPD-Obfrau Högl entgegnet, sie könne bis heute nicht erkennen, dass trotz verschiedener Anhaltspunkte in Richtung Rechts ermittelt wurde.
Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) sagte am Tag nach dem Bombenanschlag, ersten Ermittlungen zufolge gebe es keinen terroristischen Hintergrund. Weber beteuert, die Ermittlungen seien dennoch weitergegangen.
Kopfschütteln löst bei Ausschussmitgliedern auch Kriminalhauptkommissar a. D. Edgar Mittler aus, der nach einem Sprengstoffanschlag auf eine iranische Familie 2001 in Köln ermittelte. Heute wird auch diese Tat den Rechtsterroristen zugeschrieben. Damals ermittelte man in Richtung Rotlichtmilieu, in Richtung iranischer Geheimdienst - nur nicht bei Rechtsextremen? „Auch in der linken Szene haben wir nicht ermittelt“, verteidigt sich Mittler.
Wie blind waren die Behörden auf dem rechten Auge wirklich? Was wusste der Verfassungsschutz? „Der Aufklärungswille der Behörden muss unter Beweis gestellt werden“, sagt FDP-Obmann Hartfrid Wolff. Doch tragen nur die Ermittlungsbehörden Verantwortung - oder auch die Staatssekretäre und Minister? Schily übernahm im April für Ermittlungspannen Verantwortung. Folgen hatte sein Interview für niemanden.