Analyse: Zypern kratzt an Merkels Euro-Bilanz

Berlin (dpa) - Das sonnige Wetter über dem Petersplatz in Rom dürfte die Stimmung von Angela Merkel nur für einen kurzen Moment ein wenig aufgehellt haben. Denn kurz vor der feierlichen Amtseinführung von Papst Franziskus telefonierte die Kanzlerin mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiades.

Dem machte sie kurz und unmissverständlich klar, dass die Bundesregierung der falsche Ansprechpartner sei. Wenn Anastasiades verhandeln wolle, solle er sich an die Geldgeber-Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalen Währungsfonds (IWF) wenden.

Der Ärger im Kanzleramt über Nikosia dürfte groß sein. Denn die Schuldigen für das aktuelle Zypern-Chaos waren öffentlich schnell ausgemacht - vor allem bei den rund 860 000 Einwohnern der geteilten Mittelmeerinsel: Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble hätten die Belastung für die zyprischen Kleinsparer letztlich durchgedrückt.

So lautet zumindest eine der vielen Versionen der Brüsseler Gipfelnacht. Wie seinerzeit in Athen gibt es nun
Anti-Merkel-Proteste in Nikosia. Auch in der hitzigen Parlamentsdebatte am Abend wird Deutschland attackiert. „Auf der Liste der Länder mit Schwarzgeldern steht Deutschland weit über uns“, wettert Kommunist Andros Kyprianou. „aber die sagen uns, wie wir es machen sollen.“

In Berlin wird die Rollenverteilung anders gesehen. Die zyprische Regierung habe sich geweigert, höhere Guthaben stärker zu belasten. Deshalb hätten sich die Euro-Retter nicht gleich zu einer sozialverträglichen Lösung durchringen können - mit Freibeträgen und einer niedrigeren Abgabe für Kleinsparer.

Die Verantwortlichen in Nikosia hätten die einmalige Abgabe eben selbst gestalten können - Hauptsache, die 5,8 Milliarden Euro kommen zusammen, sagte ein sichtlich genervter Schäuble in die Kameras. EU-Kommission und EZB verwahrten sich später gegen den Vorwurf, sie hätten die Zwangsabgabe letztlich abgenickt.

Nicht nur das Schwarze-Peter-Spiel unter den maßgeblichen Euro-Rettern macht deutlich: Die internationalen Geldgeber haben in dem nervenaufreibendem Poker offensichtlich unterschätzt, welche verheerenden Auswirkungen Bilder wütender Bürger vor verschlossenen Zypern-Banken im Rest der Euro-Zone und in Deutschland haben können.
Eine Beteiligung in- und ausländischer Geldgeber und Finanziers des aufgepumpten Bankensektors gilt in der Eurozone grundsätzlich als richtig und notwendig.

Auch mancher Koalitionspolitiker wunderte sich über das Kommunikationsdesaster und fragte sich, warum die in fünf Jahren Schuldenkrise gestählten Merkel und Schäuble diese Weiterungen nicht überschauten. Offene Kritik äußerte aber niemand. Angesichts der großen Verunsicherung im eigenen Land sah sich Merkel sechs Monate vor der Bundestagswahl sogar gezwungen, ihre Komplett-Garantie für sämtliche Spareinlagen in Deutschland aus dem Krisenjahr 2008 bekräftigen zu lassen.

Dabei gibt es reichlich Gründe und Zahlen, die für eine - je nach Sichtweise - „Enteignung“ oder „Solidaritätsabgabe“ der zyprischen Sparer sprechen. Zypern hätte schlicht keinen Hilfskredit in Höhe seiner gesamten Wirtschaftsleistung bekommen können. Um die Summe zu drücken, war ein Beitrag des Landes von etwa sechs Milliarden fällig. Das Geschäftsmodell Zyperns mit einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 18 Milliarden Euro aber basiert größtenteils auf dem völlig überdimensionierten Bankensektor. Der lockte mit Dumpingsteuern, einer allzu laschen Finanzaufsicht und hohen Zinsen viele Geldgeber.

Ein Drittel der Guthaben von 68 Milliarden Euro sollen Ausländer halten, vor allem reiche Russen und Briten. Die Pro-Kopf-Einlagen in Zypern sollen nach Angaben aus Finanzkreisen bei 36 300 Euro liegen. Zum Vergleich: Im Euro-Durchschnitt hat ein Bürger etwa 18 600 Euro auf dem Konto, der deutsche Sparer hat 22 200 Euro. Deutsche Banken bieten bei Geldanlagen bis zu zwei Jahren Laufzeit einen Zins von durchschnittlich 1,57 Prozent, in Zypern sind es 4,43 Prozent.

Anleihegeber wie in anderen Euro-Problemländern gibt es in Zypern faktisch kaum. Kritiker monieren, dass Aktionäre der Banken geschont würden. Nur: Bei Eigentümern zyprischer Banken scheint wenig zu holen zu sein. Nach Kursverlusten an den Börsen sind viele Geldhäuser kaum noch etwas wert. Andere Geldhäuser gehören teils dem Staat, dem der Bankrott droht.

Die Hilfsmilliarden fließen am Ende zwar an einen deutlich verkleinerten Bankensektor. So sollen aber Pleiten und ein Totalverlust für Sparer verhindert werden. Die Regierung Nikosias dürfte auch eingelenkt haben, weil die EZB schon bald den Geldhahn für die größten Banken zugedreht hätte. Die Zwangsabgabe wäre da das kleinere Übel.

Nachdem das Parlament in Nikosia das Rettungspaket nun erst einmal platzen ließ, dürfte die Unruhe im Euroraum erheblich zunehmen. Präsident Anastasiades hat nach eigenen Worten eine Art „Plan B“ in der Schublade - vielleicht verrät er ihn der Kanzlerin im nächsten Telefonat.