Auf dem Tahrir-Platz gilt die Freiheit des Spottes
Kairo (dpa) - Schon zu Beginn der Proteste auf dem Tahrir-Platz fielen die originellen, ganz unterschiedlichen Transparente auf. Die selbst gemachten und bemalten Spruchbänder und -tafeln verliehen dem Massenprotest eine ganz eigenwillige Note.
Und vor einigen Tagen zog jemand einfach eine große Plastikfolie hoch und eröffnete so eine Art kreativen Wettbewerb. Jeder darf seine Botschaften, Zeichnungen und Cartoons zum Besten geben. In einem Land, das seit fast 30 Jahren im Ausnahmezustand lebt, ist das schon etwas besonderes.
Am Montag ist da etwa folgende Botschaft aus der Mitte der Protestbewegung zu lesen: „Die Freunde des Präsidenten tanzen, während das Volk kein Brot hat.“ „Frau Suzanne“, stand auf einem Zettel, der an die Präsidenten-Gattin Suzanne Mubarak adressiert ist, „Bitte sagen Sie es ihm, wenn's ihm schon kein anderer sagt: er möge endlich gehen.“
Ein weiteres Papier zeigt ein krakelig gezeichnetes Kamel - eine Anspielung auf die brutalen Angriffe von Mubarak-Anhängern vor einer Woche, bei denen Reiter auf Kamelen rücksichtslos in die Menge geritten waren. „Sie sind wie eine Völkerschaft aus dunklen, alten Zeiten“, steht daneben.
Auf einem mit Filzstift hingeworfenen Cartoon ist Husni Mubarak am Telefon zu sehen, am anderen Ende der Leitung ein Israeli mit Kippa. „Hättet ihr einen Platz, um mich aufzunehmen?“, ließ der Amateur-Karikaturist seinen Mubarak fragen. „Nein, wir haben keine Verwendung mehr für Sie“, legte er dem israelischen Gegenüber in den Mund.
Der Spott bezieht sich auf die kurzzeitig kursierende Ente eines arabischen Nachrichtensenders, derzufolge Mubarak Exil in Israel angeboten worden sei. Tatsache ist, dass Ägypten mit Israel diplomatische und Wirtschaftsbeziehungen pflegt, was in der ägyptischen Gesellschaft äußerst unpopulär ist.
Viele dieser sarkastisch gemeinten Äußerungen wirken unbeholfen. In der einen oder anderen Botschaft kommen natürlich auch Vorurteile, die sich auf den Straßen halten, zum Vorschein. Man gibt sich aufrichtig Mühe, witzig zu sein. „Das hatten wir noch nie“, begeistert sich die junge Ärztin Schirin, als sie die Pinnwand der Protestbewegung betrachtet. „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten können die Menschen hier frei ausdrücken, was sie denken, ohne Angst vor Verhaftung und Polizeifolter.“