Schicksalswochen im Freistaat Bayern und der heiße Herbst

München (dpa) - Für Markus Söder kommt die Sommerpause zur Unzeit. Ausgerechnet jetzt, wo seine CSU auf einem Umfrage-Tiefpunkt von 38 Prozent angelangt ist, soll der eifrige Spitzenkandidat Ferien machen?

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Gar ausspannen?

Wer den 51-Jährigen kennt, der weiß, dass dies nicht funktionieren kann, zumindest nicht für mehr als ganz wenige, an einer Hand abzählbare Tage. So mancher in der CSU bedauert die Ruhe jedoch gar nicht so sehr: Nach den turbulenten vergangenen Wochen könne die CSU sich ein wenig besinnen, Kraft tanken für den garantiert heißen Herbst, heißt es.

Ob Söder oder Politiker anderer Parteien in der Sommerpause tatsächlich die innere Ruhe zur Entspannung finden, darf bezweifelt werden. Zweieinhalb Monate vor der Landtagswahl am 14. Oktober ist in Bayern die politische Zukunft offen wie lange nicht.

Nicht nur die Zahl der Parteien, die sich realistische Hoffnungen auf den Einzug in den Landtag machen können, ist mit bis zu sieben die höchste seit 1946. Auch die jahrzehntelange Vorherrschaft der CSU, verbunden mit einem Alleinregierungsanspruch, hat heftige Risse bekommen. Den Christsozialen bläst insbesondere wegen ihrer Asyl- und Sicherheitspolitik auch in Bayern ein Proteststurm entgegen, wie es ihn schon lange Jahre nicht mehr gegeben hat.

Komplettiert wird die chaotische Ausgangslage für Wähler wie Parteien durch kaum seriös kalkulierbare Koalitionsplanspiele, die viele Bündnisse rechnerisch denkbar, manche aber nur schwer vorstellbar erscheinen lassen. Eine Bestandsaufnahme vor der Sommerpause.

Als vor wenigen Tagen der Bayerische Rundfunk seine große Umfrage präsentierte, fühlten sich viele in der CSU an den 24. September 2017 erinnert. Wieder blieb die blaue Säule mit dem CSU-Ergebnis in früher kaum denkbaren Tiefen stehen: Nur 38 Prozent der Bayern würden der CSU danach aktuell ihre Stimme geben. Das wären fast zehn Prozentpunkte weniger als 2013, als die CSU mit 47,7 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate im Landtag zurückerobern konnte, wenn auch nur knapp.

Die SPD landete in der Umfrage bei 13 Prozent und damit nur knapp vor der AfD mit 12 Prozent - und deutlich hinter den Grünen mit 16 Prozent. Die Freien Wähler kamen auf 9, die FDP auf 5 Prozent, und sogar die Linke kann sich mit 4 Prozent Hoffnungen auf einen Einzug ins Maximilianeum machen. Damit ist es im Freistaat erstmals in der Geschichte realistisch, dass sieben Fraktionen im Plenum nebeneinander sitzen - wenn es FDP und Linke am Ende schaffen sollten. Zum Vergleich: 1982 waren es mit CSU und SPD nur zwei Fraktionen, sonst meist zwischen drei und fünf.

Die Zahlen belegen einmal mehr, was seit Jahren in ganz Deutschland und auch in weiten Teilen Europas zu spüren ist: Das Machtgefüge ist empfindlich ins Wanken geraten, ehemals große Volksparteien verlieren massenhaft Wähler an eine wachsende Zahl von zumindest anfangs kleinen Parteien.

Anders als SPD und CDU konnte die CSU im konservativen Bayern, und hier zumeist auf dem Land, diese Entwicklung lange ignorieren und auf ihre in westlichen Demokratien einzigartigen Wahlergebnisse verweisen. Doch die AfD und andere rechtspopulistische Tendenzen haben diese Bastion ins Wanken gebracht; das Dogma von Franz Josef Strauß, wonach es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, ist längst ein Satz für die Geschichtsbücher.

Für den 14. Oktober ab 18.00 Uhr und die Zeit danach steht damit nur eines fest: Bayern wird sich politisch weiter verändern. Und auch wenn der nächste Ministerpräsident sicher wieder von der CSU gestellt wird, dürfte auch die Partei vor einer Neuordnung stehen.

Im Asylstreit der vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass der Burgfriede zwischen Söder, Parteichef Horst Seehofer, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Parteivize Manfred Weber, um nur einige der Beteiligten zu nennen, fragil ist. Hinter den Kulissen wird längst diskutiert, wie es in der Parteihierarchie weitergeht, wenn die CSU unter 40 Prozent rutschen sollte. Nicht nur der Posten des Parteichefs dürfte dann zur Debatte stehen.

Bei der SPD, die bei der Landtagswahl 2013 noch 20,6 Prozent erzielt hatte, sieht es nicht viel besser aus. Sollten die Sozialdemokraten diesmal deutlich schlechter abschneiden, wird sich auch Spitzenkandidatin und Landeschefin Natascha Kohnen ganz persönlichen Fragen stellen müssen.

Die Fragen dürften noch heikler werden, sollte sich die Bayern-SPD - ebenso wie die Genossen im Bund - am Ende gar bereit erklären, in ein Bündnis mit der CSU einzutreten. Doch genau das könnte nötig werden, sollten die Ergebnisse der selbsternannten Wunsch-Koalitionäre FDP und Freie Wähler nicht für ein Zweierbündnis mit der CSU ausreichen. Oder es könnte in Bayern am Ende sogar auf Schwarz-Grün hinauslaufen.

Bis zur Wahl ist es aber noch lange hin. Und der jüngsten Umfrage zufolge ist sich mehr als jeder Zweite noch nicht endgültig sicher, wen er am 14. Oktober tatsächlich wählen wird.