Bestürzung in Köln nach Messerattacke auf Reker

Köln (dpa) - Überall in Köln lächelt Henriette Reker den Bürgern entgegen. An jeder Straßenecke hängen Wahlplakate mit dem Porträt der Sozialdezernentin und Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt.

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Doch in Wirklichkeit wird die 58-Jährige schwer verletzt ins Uniklinikum gebracht und später operiert.

Sie ist im Halsbereich verwundet. Attackiert vom Messer eines 44-jährigen Attentäters. Das alles geschieht auf einem Marktplatz in der Domstadt. Dort wollte Reker im Wahlkampfendspurt noch einmal auf Tuchfühlung mit den Bürgern gehen.

Trotz der Bluttat und der Sorge um Reker und vier weitere Verletzte stellt die Stadtverwaltung schnell klar: In der viertgrößten deutschen Metropole wird am Sonntag ein neues Oberhaupt gewählt, es bleibt dabei. Doch das Entsetzen ist groß in der Millionenstadt.

Vielen Menschen rund um den Tatort ist das Grauen noch im Gesicht abzulesen. „Schrecklich“, „wie barbarisch“ ist am Marktstand nebenan zu hören. Eine 32-jährige Verkäuferin weist auf Blutflecken auf dem Boden direkt neben ihrem Gemüsestand hin. „Es ist schockierend, nichts ist mehr normal.“ Alles sei ziemlich schnell gegangen. Dann rückten Polizei, Krankenwagen und ein großes Medienaufgebot an, es gab Absperrungen, Spurensuche.

Fassungslosigkeit herrscht auch in der Politik. Kurz nach der Messerattacke kommt der scheidende Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) an den Ort des Geschehens: „Niemand hätte geglaubt, dass einem so etwas hier im Wahlkampf widerfahren könnte“, sagt er. „Wir alle denken an Frau Reker. Wir hoffen, dass sie ihre Operation gut übersteht.“ Später ergänzt Roters: „Die Stadt Köln hält den Atem an.“

Was genau hat sich wohl abgespielt? Reker sucht am Morgen am Rande des kleinen Marktes noch einmal das direkte Gespräch mit den Wählern. Sie hat einen Rosenstrauch in der Hand. Ein 44-jähriger Mann läuft nach Augenzeugenberichten direkt auf Reker zu, spricht sie kurz an, stößt ihr dann ein Messer in den Hals. Tumulte, weitere Verletzte.

Der Kölner CDU-Politiker Jürgen Strahl war am Tatort, er blieb unversehrt. Der Angreifer sei mit einer „bestimmt 30 Zentimeter langen Klinge“ auf Reker losgegangen, schildert Strahl der dpa das Geschehen. „Es kam zu einem Gerangel, er hat ein zweites Messer gezogen.“ Man habe den Täter abdrängen können, bis die Polizei kam.

Kölns CDU-Parteichef Bernd Petelkau, der den Messerangriff ebenfalls aus nächster Nähe miterlebte, ringt kreidebleich um Fassung: „Dass so etwas Schreckliches passieren kann, ist unerträglich. Wir gedenken aller Verletzten und hoffen auf ihre vollständige Genesung.“ Neben Reker sind auch eine Kölner CDU-Politikern und eine FDP-Ratsfrau verwundet worden, außerdem zwei weitere Personen, die sich am Wahlkampfstand aufhielten.

Der Mann soll nach dem Attentat gerufen haben: „Ich rette Messias. Das ist alles falsch, was hier läuft, ich befreie Euch von solchen Leuten.“ Und: „Ich musste es tun. Ich schütze Euch alle.“ Wenige Stunden nach dem Drama berichtet die Polizei, der Angreifer habe fremdenfeindliche Motive genannt. Reker ist als Sozialdezernentin mit der Unterbringung von Flüchtlingen befasst und betont immer wieder, die Hilfesuchenden sollten als Chance begriffen und integriert werden.

Die Messerattacke ist am Vorabend der Wahl beherrschendes Thema in der Millionenstadt. Er fühle sich an das Messerattentat 1990 auf Oskar Lafontaine als damaligen SPD-Kanzlerkandidaten erinnert, sagt ein CDU-Mitglied bei einer spontanen Reker-Solidaritätsbekundung in der Fußgängerzone. Alle Parteien sind dort vertreten. Sie haben ihren Wahlkampf sofort gestoppt. Die politischen Kontrahenten rücken zusammen in diesen Stunden. CDU, FDP und Grüne, die die Kandidatin Reker unterstützen, rufen die Wähler auf, nun erst recht ihre Stimme abzugeben. Seite an Seite mit der SPD, deren OB-Kandidaten Jochen Ott sowie die Linkspartei.

Man müsse sich dem „Anschlag auf Köln und auf die Demokratie“ gemeinsam entgegenstellen, fordert der NRW-CDU-Chef und Bundesparteivize Armin Laschet. Wer die Wahl am Sonntag gewinne, sei „zweitrangig“. Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann erwartet einen „tragischen Bonus“ für Reker, wie er im WDR sagt. Allerdings hatte sie laut einer Umfrage ohnehin einen Vorsprung vor dem SPD-Mann Ott. Es sei richtig, trotzdem zur Wahlurne zu bitten, betont von Alemann: „Wir dürfen uns in unserer Demokratie nicht den Wahltermin vorgeben lassen von politischen oder psychisch gestörten Attentätern.“