Börsenchefin: Euro-Angst belastet Finanzmärkte weiter
München (dpa) - Die Unsicherheit über die Euro-Schuldenkrise bringt die Börsen nach Ansicht einer Expertin auch in den kommenden Monaten unter Druck.
„Wir werden, was Börsengänge betrifft, sicher kein brillantes Jahr mehr erleben“, sagte die langjährige Chefin der Börse München, Christine Bortenlänger, der Nachrichtenagentur dpa in München. In den vergangenen Monaten hatten mehrere Firmen ihre geplanten Börsengänge wegen des schwierigen Umfeldes auf Eis gelegt, darunter der Spezialchemiekonzern Evonik. Auch der Rüstungskonzern Rheinmetall verschiebt den ursprünglich für Juni geplanten Börsengang seiner Autosparte.
Aus Angst vor der weiteren Entwicklung der Finanzmärkte halten sich Unternehmen und Anleger nach Einschätzung von Bortenlänger weiter zurück. „Ich sehe keinen Grund, warum der normale Bürger Sicherheit gewinnt.“ Der Ansturm auf Immobilien und Gold als vermeintlich sichere Geldanlage werde aber abflachen. In vielen Städten ist der Markt für Häuser und Wohnungen inzwischen leer gefegt, astronomische Preissteigerungen sind die Folge. „Es ist einfach zu teuer geworden“, sagt die 45-Jährige. Aktien sind für viele Menschen aber trotzdem keine Alternative: Im Jahr 2011 hatten nur knapp 8,5 Millionen Menschen ihr Geld in Aktien, Fonds oder Zertifikate gesteckt.
Bortenlänger wechselt nach 12 Jahren als Chefin der bayerischen Börse im September als Geschäftsführender Vorstand zum Deutschen Aktieninstitut nach Frankfurt. Dort löst sie Rüdiger von Rosen ab, der in den Ruhestand geht. In ihrer neuen Funktion will sich die studierte Betriebswirtin vor allem für ein besseres Verständnis der Kapitalmärkte einsetzen. „Es braucht Aufklärung“, sagt Bortenlänger, die vor Jahren mit ihrem Buch „Börse für Dummies“ einen Bestseller gelandet hat.
Den meisten Deutschen ist die Lust auf Aktien mit dem Niedergang des Neuen Marktes und dem Flop mit der Telekom-Aktie aber schon vor Jahren vergangen. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland mit einem Aktionärsanteil von 13,4 Prozent weit hinterher. In vergleichbaren Industrieländern wie den USA, Japan, Großbritannien oder den Niederlanden liegt der Anteil doppelt bis dreifach so hoch.
Besonders bei der Altersvorsorge denken viele Menschen in Deutschland nach Ansicht von Bortenlänger nicht an Aktien. „Der Deutsche hat gelernt, dass sich um die Altersvorsorge der Staat kümmert.“ Auch die Politik müsse sich deshalb darum bemühen, die Bürger besser über die Möglichkeiten der Geldanlage an den Kapitalmärkten zu informieren. „Die Aktie ist einfach zu verstehen und eine wichtige Beteiligung an der deutschen Wirtschaft“, sagt sie.
Für die Aktiengesellschaften in Deutschland werde die Geldbeschaffung an den Kapitalmärkten wegen strengerer Vorschriften aus Brüssel für die Kreditvergabe der Banken immer wichtiger. Emotional aufgeladene Diskussionen um die Finanztransaktionssteuer und Börsenumsatzsteuer seien der falsche Weg, um die Akzeptanz zu erhöhen. „Es kann auch nicht sein, dass jedes Derivat als Teufelszeug gilt.“
Bortenlänger ist eine der wenigen Frauen in den Chefetagen der deutschen Finanzlandschaft. Als sie den Posten an der bayerischen Börse im Jahr 2000 übernahm, sorgte dies für große Aufmerksamkeit. Die damals 33-Jährige war nicht nur die erste Frau in der Geschäftsführungsspitze einer deutschen Börse, sondern auch das jüngste Mitglied in einem solchen Gremium und außerdem Mutter eines damals zwölf Jahre alten Sohnes. An der Münchner Börse hat sie in dieser Zeit ein neues Handelssystem eingeführt, zahlreiche neue Angebote auf den Markt gebracht und die alten Gemäuer in der Innenstadt gegen einen modernen Börsensitz getauscht. Über einen Nachfolger für Bortenlänger ist noch nicht entschieden.