Boris Johnson - Enfant terrible und Liebling der Massen

London (dpa) - Es ist noch nicht lange her, dass sich Boris Johnson entschied, für einen Austritt Großbritanniens aus der EU zu werben. An einem Sonntag im Februar tritt er mit gesenktem Kopf vor die

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Kameras vor seinem Haus im Norden Londons. Boris, wie ihn seine Landsleute kurz nennen, ist damals noch Bürgermeister der britischen Hauptstadt. Er stammelt etwas von schwerem Herzen, und dass er nichts gegen Premierminister David Cameron und die Regierung unternehmen wolle. Aber er habe, dem Volk zuliebe, keine andere Wahl. Seinen konservativen Parteifreund Cameron soll er nur wenige Minuten vorher per SMS über den Schritt informiert haben.

Der Mann mit dem stets verstrubbelten blonden Haarschopf ist nicht irgendjemand. Immer wieder wurde er in Umfragen zum beliebtesten Politiker Großbritanniens gekürt. Wäre er noch einmal angetreten, er hätte wohl kaum Schwierigkeiten gehabt, die Bürgermeisterwahl in London für sich zu entscheiden. Doch Boris Johnson, so glauben viele, strebt nach Höherem. Dass er sein Gewicht in die Waagschale der Brexit-Befürworter warf, dürfte wohl kaum ohne Hintergedanken geschehen sein.

Johnson gehört wie Cameron zum Establishment, beide gingen auf das Eliteinternat Eton. Anders als der stets gepflegt auftretende Premier versteht es Johnson aber, den einfachen Mann anzusprechen. Er schneidet Grimassen auf Fotos, kleckert unbeholfen mit Speiseeis, stolpert, stürzt und pöbelt.

Auf dem Höhepunkt der Böhmermann-Affäre schreibt er ein Schmähgedicht über einen „jungen Kerl aus Ankara“ und gewinnt damit einen zweifelhaften Wettbewerb für das „beleidigendste Gedicht über Präsident Erdogan“. Als US-Präsident Barack Obama in London für einen Verbleib Großbritanniens in der EU wirbt, spekuliert Johnson in einem Zeitungsartikel über dessen kenianische Wurzeln und eine daraus resultierende Abneigung gegen Winston Churchill und das britische Kolonialreich. Größter Ausrutscher Johnsons aus deutscher Sicht ist seine Behauptung, die EU wolle einen Superstaat errichten - wie einst Napoleon und Hitler.

Doch all das scheint ihm nicht zu schaden. Im Gegenteil, Umfragen zufolge schenken die Briten Johnson sehr viel mehr Glauben als dem Premier. Anders als Cameron hat er in dem Referendum über die EU-Mitgliedschaft nicht viel zu verlieren. Der Politikwissenschaftler Tony Travers von der London School of Economics glaubt sogar, dass Johnson gute Chancen hat, nächster Regierungschef zu werden: „Im Falle eines Austritts aus der EU wird Cameron nicht mehr lange Premierminister sein, dann hätte Johnson als prominenter Unterstützer dieses Lagers gute Chancen auf den Job.“

Doch auch wenn sich die Briten bei dem Referendum dazu entscheiden sollten, in der EU zu bleiben, hätte Johnson beste Aussichten auf einen weiteren Aufstieg. „Cameron würde wahrscheinlich sein Kabinett umbauen, um die EU-Gegner einzubinden, auch hier würde sich Johnson als Kandidat auf einen Ministerposten anbieten“, sagt Travers. Spätestens bei der nächsten Parlamentswahl 2020, bei der Cameron nicht mehr antreten will, wäre Johnson dann ein aussichtsreicher Kandidat auf den Posten des Premiers.