Breivik sieht sich als Held
Oslo (dpa) - Viele Norweger nennen ihn nicht beim Namen. Der mutmaßliche Massenmörder Anders Behring Breivik soll nicht noch berühmter werden, sagen sie.
„Ich glaube, Breivik wünscht sich, dass wir einen Mythos aus ihm machen“, schreibt Inger-Marie Schjønberg, die das grausame Attentat im vergangenen Sommer überlebt hat. Nicht nur für sie wird der Name Anders B. Breivik immer mit einem unfassbaren Massaker verbunden sein.
77 Menschen fielen laut Anklageschrift seinem grenzenlosen Hass auf alles Multikulturelle zum Opfer - erst durch die Bombe im Osloer Regierungsviertel, dann beim Blutbad auf der Fjordinsel Utøya. „Sag ihnen, dass ich nichts bereue“, hat Breivik seinem Anwalt mit auf den Weg gegeben. Er verdiene für seine Taten den Kriegsorden des norwegischen Militärs, meint der 33-Jährige.
Fast schüchtern lächelt der mutmaßliche Terrorist, als er bei einem Haftprüfungstermin erstmals nach seinem Massaker wieder in die Öffentlichkeit tritt. Er zeigt einen Nazi-Gruß, lächelt weiter.
Breivik achtet auf sein Image: Tage vor den Attentaten hinterließ er eine sorgfältig inszenierte Visitenkarte im Internet - mit Facebook-Account und Zitat beim Kurznachrichtendienst Twitter. Breivik will als konservativer Christ gesehen werden, als Liebhaber klassischer Musik und Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Doch auch als Tempelritter, der Europa vor Islam und „Kulturmarxismus“ rettet.
Ob Breivik geisteskrank ist, ist heftig umstritten. Zwei Psychologen stuften ihn wegen bizarrer Zwangsvorstellungen zunächst als paranoid-schizophren ein. Jüngst gibt es aber ein zweites Gutachten, nach dem er „zum Zeitpunkt der Tat nicht psychotisch“ war. Breivik sei voll zurechnungsfähig, meinen die Psychiater Terje Tørrissen und Agnar Aspaas. Jetzt muss das Gericht entscheiden.
Wird Breivik für schuldunfähig erklärt, kann er nicht zu einer Haftstrafe verurteilt, sondern ausschließlich in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden. Alle drei Jahre wird eine solche Einweisung überprüft. Für Breivik selbst kann es nur eine Antwort geben: „Einen politischen Aktivisten in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen, ist sadistischer und böser, als ihn zu töten“, schreibt er aus dem Gefängnis. Die Gutachter hätten nicht verstanden, dass seine Taten politisch motiviert sein könnten.
Viele Terror-Opfer sind ähnlich enttäuscht vom ersten Gutachten wie Breivik selbst. Kann ein Mensch, der eine solche Grausamkeit neun Jahre lang geplant und seine Motive auf mehr als 1500 Seiten wortgewandt niedergeschrieben hat, schuldunfähig sein, fragen sie.
Der 22. Juli sei trotz aller Vorbereitung der schlimmste Tag in seinem Leben gewesen, schreibt Breivik selbst. „Die Operation war sowohl körperlich wie emotional schwierig.“ Der Massenmord war für ihn Mittel zum Zweck, das Ziel vor allem Aufmerksamkeit. „Er denkt viel daran, inwieweit seine Gedanken, besonders die aus dem Manifest, in der Gesellschaft Wurzeln geschlagen haben“, berichtet sein Anwalt Geir Lippestad.
Komplett ins Leere läuft Breiviks Hass scheinbar nicht: Anhänger schrieben ihm Briefe ins Gefängnis, sagt Verteidigerin Vibeke Hein Bæra im Norwegischen Rundfunk. Selbsthilfegruppen erhalten anonyme Drohbriefe, die ihnen vorwerfen, die norwegische Gesellschaft zu zerstören. Menschen bezeichnen Breivik im Internet als „Bruder“.
Der am 16. April beginnende Prozess könnte noch mehr Aufmerksamkeit auf Breiviks rassistische Gedanken lenken, fürchten viele Norweger. Inger-Marie Schjønberg hat entschieden, den mutmaßlichen Massenmörder künftig doch beim Namen zu nennen: „Damit machen wir ihn zu einem Menschen, den man für seine Taten bestrafen kann“, schreibt sie in ihrem Blog. „Wir reißen ihn von seinem mystischen Sockel und machen ihn genau zu dem kleinen und jetzt so gefangenen Menschen, der er ist.“