„Helden, Schufte, Größenwahn“: Der Mythos „Titanic“
London (dpa) - Es ist die Geschichte von Helden und Schuften, von Größenwahn und Ingenieurskunst und vom Kampf der Technik gegen die Natur: Das Sinken der „Titanic“, der angeblich „Unsinkbaren“, ist 100 Jahre nach dem Unglück im Nordatlantik mit mehr als 1500 Toten endgültig zum Mythos geworden.
Es war nicht der größte und nicht der folgenschwerste Unfall in der Geschichte der Schifffahrt. Kein Vergleich etwa mit der „Wilhelm Gustloff“, auf der 1945 bis zu 9000 Menschen umkamen. Dennoch ist der Aufprall der „Titanic“ auf einen Eisberg vor Neufundland und das Schicksal ihrer Passagiere die bei weitem bekannteste und am meisten thematisierte Katastrophe der Weltmeere.
Dazu beigetragen haben wohl vor allem zwei erfolgreiche Kinofilme: Zuletzt brach 1997 James Camerons Drei-Stunden-Epos mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio alle Rekorde an den Kinokassen. Anfang April hat der geschäftstüchtige Kanadier den Klassiker noch einmal neu aufgearbeitet und jetzt in 3D in die Kinos gebracht.
Bereits 1958 hatte der Film „Die letzte Nacht der Titanic“ das Unglück so anschaulich in die Hirne der Zuschauer eingebrannt, dass die „Titanic“ das Zeug zum Kultschiff bekam. Auch in Literatur, Malerei und Fotografie wurde das Schicksal des in Belfast gebauten Flaggschiffs der „White Line“ thematisiert. Es war in all seinem Luxus und seinen technischen Finessen auch ein Ausdruck des Größenwahns im zu Ende gehenden britischen Empire.
Noch heute ranken sich Mythen und Legenden um das Schiff - und es bleiben Fragezeichen. Warum ignorierten Kapität Edward Smith und seine Crew die vielen Eiswarnungen und ließen sich von der ruhigen See täuschen? Warum wurden die Rettungsboote nur halb gefüllt? Warum zählten zu den gut 700 Überlebenden hauptsächlich Passagiere der 1. Klasse? „Es gibt die offensichtliche Ungerechtigkeit, dass so viele First-Class-Passagiere überlebten, verglichen mit denen der zweiten und dritten Klasse“, sagte William Blair vom Nordirischen Nationalmuseum in Belfast am Sonntag.
Auch bekamen die meisten der Millionäre und Prominenten unter den Opfern einen Holzsarg und wurden beerdigt. Für den Multimillionär John Jacob Astor IV gab es sogar eine Extraanfertigung. Die Reisenden aus der Holzklasse dagegen wurden einfach in Leintücher gewickelt und bekamen eine Seebestattung, wie Blair referierte.
Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten in der nordirischen Hauptstadt - dort lief die „Titanic“ einst in der Werft Harland and Wolff vom Stapel - unternahmen die Organisatoren zumindest den Versuch eines Ausgleichs: Auf den vor dem Belfaster Rathaus enthüllten bronzenen Gedenktafeln wurden die mehr als 1500 Namen der Toten in alphabetischer Reihenfolge - nicht nach Klassen unterteilt - angeordnet.
Es hat sogar ein wenig den Anschein, als könnte die Hauptstadt des armen Nordirlands von dem Schiff der Superreichen heute ein wenig profitieren. Das neue Besucherzentrum, ein integriertes Wohnquartier sowie Erlebnisstätten rund um den Hafen sollen mit Hilfe des großen Namens „Titanic“ Gäste aus aller Welt nach Belfast locken und dringend benötigte Arbeitsplätze sichern.