„Büchse der Pandora“ - Krise wirkt auf andere Gebietskonflikte
Moskau (dpa) - Russische Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine mit dem Ziel, sich nach der Krim jetzt die russischsprachigen Landesteile im Süden und Osten einzuverleiben?
Dazu Aktivitäten des russischen Militärs in Transnistrien, die von der Republik Moldau abtrünnige Region zu erobern? Das Verteidigungsministerium in Moskau versucht auch am Sonntag, wachsende Ängste im Westen vor einer großrussischen Offensive zu zerstreuen. Doch der Kreml schürt mit dem umstrittenen Anschluss der Halbinsel Krim an Russland genau solche Befürchtungen.
Zwar hatte Kremlchef Wladimir Putin zuletzt beteuert, dass den Russen die Krim-Wiedervereinigung, wie sie Moskau beschönigend nennt, ausreiche. Eine Invasion in der Ukraine sei nicht geplant, heißt es jetzt fast täglich - zumal es in ukrainischen Regionen wie Donezk oder Odessa Umfragen zufolge nicht einmal annähernd eine Mehrheit für einen Anschluss an Russland gibt. Zudem warnen Finanzanalysten davor, dass schon allein der Krim-Anschluss Russland Milliarden kosten werde.
Doch das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen ist nachhaltig gestört - zumal Putin noch am 4. März erklärt hatte, ein Anschluss der Krim sei nicht geplant. Angesichts mehr oder weniger heißer Gebietskonflikte warnen Politiker im Westen wie auch in Moskau immer wieder davor, die „Büchse der Pandora“ zu öffnen, benannt nach der sagenhaften Frauengestalt der griechischen Mythologie, deren Schachtel der Legende nach Unheil größten Ausmaßes beinhaltete.
Nach dem Krim-Anschluss an Russland hat sich zuerst die Führung in der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol an Moskau mit der Bitte um Aufnahme gewandt. Die Entscheidung ist offen. Auch in der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien, die Russland nach einem Krieg 2008 gegen internationalen Protest ebenfalls als unabhängigen Staat anerkannt hatte, gab es immer wieder Anschluss-Diskussionen. Möglich wäre dort etwa eine Vereinigung mit der russischen Teilrepublik Nordossetien.
Es habe keinen Sinn, jetzt über diese und andere Konflikte zu sprechen, betont die Föderationsratschefin Valentina Matwijenko in einem Fernsehinterview am Wochenende. „Niemand sollte versuchen, Russland als ein Land hinzustellen, dass da und dort irgendetwas erobert (...). Die Situation auf der Krim - das ist etwas tatsächlich Besonderes, Getrenntes, eine spezielle Situation. Und heute ist einfach die historische Gerechtigkeit wiederhergestellt.“
Die Putin-Vertraute warnt den Westen davor, „Russenhass“ zu schüren und in ein Denken wie im Kalten Krieg zu verfallen. Der Friedensappell dürfe nicht zuletzt mit Russlands eigenen Problemen zu tun haben. Der Machtapparat in Moskau kennt die Gefahr des Separatismus nur zu gut.
In den 1990er Jahren verhinderte Russland in einem blutigen Krieg, dass sich die islamisch geprägte ölreiche Republik Tschetschenien abspaltete. Bis heute streben Terroristen in der gesamten Konfliktregion Nordkaukasus - neben Tschetschenien etwa Dagestan oder Inguschetien - nach einem von Moskau unabhängigen Kaukasusemirat. Ein Referendum nach dem Vorbild der Krim dürfte der Kreml dort ebenso wenig zulassen wie etwa in dem von EU-Staaten umringten russischen Kaliningrad um das frühere Königsberg.
Um Abspaltungstendenzen vorzubauen und als klares Signal, dass die Operation Krim im eigenen Land nicht Schule machen sollte, ließ der Kreml unlängst Gesetze gegen Aufrufe zu Separatismus verschärfen. Das alles dürfte am Ende vor allem Putins Ziel dienen, das russische Slawentum zu vereinigen.
Die Ukraine bilde zusammen mit Russland und Weißrussland den Kern der auch von der russisch-orthodoxen Kirche beschworenen „russischen Welt“, sagt der Politologe Dmitri Trenin vom Carnegie Center in Moskau. Der Kampf zwischen Westen und Osten sei nicht ausgestanden. „Die Schlacht um die Ukraine verspricht eine lange und harte zu werden“, sagt er. Trenin hält es für möglich, dass die Ex-Sowjetrepublik dabei zerfällt. Der proeuropäische Westen der Ukraine könnte sich der EU anschließen, meint er. Andere Regionen könnten im Einflussbereich Moskaus bleiben.