Chancen und Risiken eines gesetzlichen Mindestlohns
Berlin (dpa) - Ob er kommt - und wenn ja, wie - ist noch offen. Doch schon jetzt erhitzt ein gesetzlich geregelter einheitlicher Mindestlohn von 8,50 Euro die Gemüter. Fragen und Antworten zu den umstrittenen Plänen:
Warum überhaupt ein Mindestlohn?
Zwischen fünf und acht Millionen Beschäftigte - je nachdem, ob Schüler, Studierende und Rentner mit einbezogen werden - arbeiten in Deutschland für weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Das entspricht einem Fünftel bis einem Viertel aller Beschäftigten. 1,3 Millionen Niedriglöhnern - darunter 350 000 Vollzeitbeschäftigten - stockt der Staat den Verdienst auf, weil das Einkommen zum Leben nicht reicht.
Gibt es in Deutschland schon Mindestlöhne?
Ja, inzwischen haben zwölf Branchen mit etwa vier Millionen Beschäftigten allgemeinverbindliche Mindestlöhne eingeführt, zum Beispiel das Baugewerbe, das Elektrohandwerk oder die Steinmetze. Allgemeinverbindlich heißt: Diese Löhne müssen alle Betriebe zahlen, auch wenn sie nicht dem Arbeitgeberverband angehören. Die Spanne reicht dabei von 7,50 Euro bis 12,60 Euro. Für das Friseurgewerbe beantragten die Tarifpartner zuletzt ebenfalls, den neu ausgehandelten Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären.
Welche Branchen würde eine gesetzliche Regelung besonders treffen?
Laut Gewerkschaften würde es durch einen gesetzlichen Mindestlohn besonders in der Dienstleistungsbranche Veränderungen geben. So müsste etwa im Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Taxigewerbe die Bezahlung angehoben werden. In diesen Bereichen liegen die Stundenlöhne für einfache Tätigkeiten oft unter 8,50 Euro.
Wie steht der Einzelhandel zu einem gesetzlichen Mindestlohn?
Der Handelsverband Deutschland (HDE) lehnt einen einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ab. Kleinbetriebe und Läden in strukturschwachen Regionen müssten Arbeitsplätze abbauen oder gar schließen, warnt HDE-Geschäftsführer Heribert Jöris. Besonders Mini-Jobs, die in der Branche etwa 30 Prozent ausmachten, würden einem Mindestlohn von 8,50 Euro zum Opfer fallen.
Was sagen Gastronomen und Hoteliers?
Ein Mindestlohn von 8,50 Euro würde besonders den Einstieg für gering qualifizierte und junge Menschen gefährden, warnt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Erfahrungen in anderen EU-Ländern zeigten, dass die Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit wachse.
Und der Verband der Taxifahrer?
Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband lehnt einen gesetzlichen Mindestlohn ebenfalls ab. Gerade in ländlichen Räumen liege der Umsatz in ruhigen Zeiten noch unter 8,50 Euro pro Stunde. Höhere Löhne müssten auf den Preis abgewälzt werden. Der Verband rechnet damit, dass Taxifahrten bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro 20 bis 25 Prozent teurer werden.
Was spricht für einen gesetzlichen Mindestlohn?
Nach Ansicht der Gewerkschaften bringt ein Mindestlohn von 8,50 Euro mehr Gerechtigkeit und verringert die Kluft zwischen Arm und Reich. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) würden dadurch zudem rund 5,6 Millionen Beschäftigte eine Lohnerhöhung erhalten - im Schnitt um 35 Prozent. Das würde auch den Konsum ankurbeln. Davon profitierten außerdem die Sozialkassen sowie der Fiskus, der weniger Geld an Aufstocker überweisen müsste.
Könnten Arbeitsplätze wegfallen?
Das befürchten zumindest die Top-Wirtschaftsforscher in ihrem Herbstgutachten. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) besteht besonders im Osten ein hohes Risiko, dass bei einheitlich 8,50 Euro Mindestlohn Arbeitsplätze verloren gehen. Nach einer Studie von Forschern der TU Dresden und FU Berlin könnten im schlimmsten Fall sogar 800 000 Stellen wegfallen. Gut zwei Drittel davon wären Mini-Jobs. Die Gewerkschaften bezweifeln, dass es Jobverluste geben wird.
Wie stehen die Bundesbürger zu einem Mindestlohn?
Die Bevölkerung hält einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn mehrheitlich für gut: 83 Prozent befürworten eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro, ergab jüngst eine Umfrage für das ZDF-„Politbarometer“. 14 Prozent sind dagegen.