Sorge vor Machtkämpfen Cosa Nostra: Der Tod der „Bestie“ ist nicht das Ende der Mafia

Rom/Parma (dpa) - „Die Mafia ist ein Haufen Scheiße“, ruft eine Studentin in Rom durch ein Megafon. Wenige Stunden später und rund 500 Kilometer weiter nördlich stirbt der „Boss der Bosse“, Salvatore „Totò“ Riina, Ex-Chef der sizilianischen Cosa Nostra.

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Jeder in Italien weiß, was eine Mafia-Kennerin ausspricht: „Das Ende von Riina ist nicht das Ende der sizilianischen Mafia, die ein kriminelles, höchst gefährliches System ist“, sagt die Präsidentin der italienischen Anti-Mafia-Kommission, Rosy Bindi, am Freitag.

Blieb es im Wahlkampf vor den Regionalwahlen auf Sizilien Anfang November verdächtig ruhig um die kriminellen Clans, macht die Mafia dieser Tage wieder Schlagzeilen in Italien. Menschen gehen „gegen die Mafia und gegen Korruption“ auf die Straße, etwa in Ostia, dem für seinen Badestrand beliebten Stadtteil der Hauptstadt. Dort brach der Bruder eines Mafioso einem Reporter kürzlich die Nase. Eine Kamera hat gefilmt, wie Roberto Spada den Journalisten mit einem Schlagstock verfolgt. Die brutale Attacke sorgte für Entsetzen und dafür, dass wieder über die Mafia gesprochen wird.

Ostia sei „Territorium der Mafia und der Einschüchterung“, wo das Verbrechen und Geldwäsche regierten, sagt Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano. Auch wenn es nach Ansicht anderer Experten zu weit gegriffen ist, zu sagen, Ostia befinde sich in den Händen eines Clans - die kriminelle Energie des Stadtteils steht für das, was in vielen Landesteilen passiert. Kriminelle, die nach mafioser Spielart ihre Verbrechen begehen, mischen nicht mehr nur im Drogenhandel mit.

Sie profitieren vom Obst- und Gemüseanbau, zwacken Geld für die Flüchtlingsunterbringung ab und verdienen am sprudelnden Fußball-Geschäft mit. Für die unzähligen Hektar Wald, die diesen Sommer in Flammen aufgingen, wird die Öko-Mafia auf der Suche nach neuen Müllkippen verantwortlich gemacht.

Zu Zeiten Riinas machte die Mafia vor allem mit spektakulären Morden und brutalem Blutvergießen von sich reden. Riinas Name lehrte die Menschen auf Sizilien jahrzehntelang das Fürchten - nicht umsonst wurde der Mafioso „La belva“, die Bestie, genannt.

Dem Mann, der im Krankentrakt des Hochsicherheitsgefängnisses von Parma starb, wird die Verantwortung für mehr als 1000 Morde zugeschrieben. Sein Leben endete einen tag nach seinem 87. Geburtstag, seine Verbrecherkarriere begann früh. Der 1930 im sizilianischen Mafia-Nest Corleone geborene Riina beging seinen ersten Mord, als er gerade mal volljährig war.

Bis „der Boss, der dem Staat den Krieg erklärt hatte“, den Fahndern nach 24 Jahren Flucht ins Netz ging, war Riina ein Phantom. Bis zu seiner Verhaftung blickte er in jeder Polizeiwache der Republik finster auf den Betrachter seines Fahndungsbildes herab. Auch auf Fotos, auf denen er hinter Gittern während eines Prozesses 1995 zu sehen ist, blitzen seine Augen. Fast besessen tanzte er den Ermittlern auf der Nase herum. Cosa Nostra? Habe er mal in der Zeitung gelesen, sagte er einmal. Er sei doch nur ein armer Bauer.

Riina sei „charismatisch“, aber in seinem Innern durch und durch böse gewesen, sagt Gaspare Mutolo, der den Boss im Gefängnis kennenlernte. Das Ex-Cosa-Nostra-Mitglied ist Kronzeuge, arbeitet seit 1991 mit den Behörden zusammen und lebt an einem unbekannten Ort. Vor den Journalisten in Rom zieht er am Freitag seine Maske erst vom Gesicht, als die Kameras ausgeschaltet sind. Mutolo hatte sich von Riina abgewendet, als die Mafia auch Frauen und Kinder ins Visier nahm.

Mit Riinas Namen ist ein Datum wie kein anderes verknüpft - es stellt einen Wendepunkt im Kampf gegen die Mafia dar. Am 23. Mai 1992 wurde das Auto des berühmtesten Mafia-Jägers Italiens, Giovanni Falcone, mit einer 500-Kilo-Bombe in die Luft gejagt. Der Cosa-Nostra-Chef soll es persönlich gewesen sein, der den Auftrag für den Mord gegeben hat. Seitdem geht der Staat entschiedener gegen die kriminellen Gruppen vor.

Die Beklemmung, die die Brutalität der Clans auslöst, war auch in Deutschland zu spüren, als in der Mordnacht von Duisburg vor zehn Jahren sechs Männer vor einem italienischen Restaurant erschossen wurden. Hintergrund des Massakers war eine blutige Fehde zwischen den Familien der kalabrischen 'Ndrangheta: Nirta-Strangio und Pelle-Vottari-Romeo.

Doch auch mit Verhaftungen schloss sich das Kapitel der italienischen Mafia in Deutschland nicht. Laut Bundeskriminalamt ist die Bundesrepublik vor allem Rückzugsort italienischer Mafiosi, die aber auch mit illegalen Geschäften und Investitionen, insbesondere in der Immobilien- und Gastronomiebranche, Geld machen.

„Heute tötet die Mafia kaum noch. Heute versucht die Mafia mehr im Verborgenen zu agieren“, sagt Laura Garavini, Abgeordnete der sozialdemokratischen Regierungspartei PD und Mitglied in der Anti-Mafia-Kommission. „Es ist keine offene Konfrontation mehr mit der Macht des Staates“, sagt Garavini. Das mache sie nicht ungefährlicher. Der Einfluss der Kriminellen reicht heute bis in den italienischen Norden und über die Landesgrenzen hinaus.

Kronzeuge Mutolo sagt, bei der Mafia habe sich „ein bisschen und nichts“ verändert. Heute fehlten die wahren Anführer. Der Tod von Riina droht möglicherweise aus diesem Grund neue Konflikte zu entfesseln. Denn Experten wie die Sozialdemokratin oder Anti-Mafia-Staatsanwälte sahen in den vergangenen Jahren, die Riina in Einzelhaft und im Hochsicherheitstrakt verbrachte, Anhaltspunkte, dass er der „Boss der Bosse“ der Cosa Nostra geblieben ist.

„Es ist wahrscheinlich, dass es jetzt nach seinem Tod einen erbitterten Konflikt unter den verbliebenen Clans geben wird, um eine neue Hierarchie zu etablieren“, sagt Garavini. „Dass es dabei auch zu neuen Bluttaten kommt, ist nicht ausgeschlossen.“