Polen, Ungarn, Slowakei Das Ende der Geduld: EU geht gegen Quertreiber vor

Brüssel/Luxemburg (dpa) - Die EU nimmt nicht jeden: Länder, die beitreten wollen, müssen sich abstrampeln. Doch so streng die EU mit ihren Beitrittskandidaten ist, mit Quertreibern in den eigenen Reihen tut sie sich schwer.

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Nach viel gutem Zureden ist Brüssel der Geduldsfaden gerissen: Die EU-Kommission geht nun rechtlich gegen Polens Justizreform vor. Am Ende könnten die höchsten EU-Richter entscheiden - wie auch über die Pflicht zur Flüchtlingsaufnahme.

„Es ist Zeit, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts wiederherzustellen und die Gesetze zur Justizreform entweder zurückzunehmen oder in Übereinstimmung mit der polnischen Verfassung und den in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz bestehenden EU-Standards zu bringen“, erklärte der Vizechef der EU-Kommission, Frans Timmermans. Seine Behörde verlangt binnen Monatsfrist Antworten aus Warschau und droht andernfalls mit einem Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags.

Wohin das führen kann, ist allerdings fraglich. „Wenn man einem Land Strafen androht, dann muss man auch in der Lage sein, das Ganze durchzuziehen“, meint Judy Dempsey von der Denkfabrik Carnegie Europe. Genau das kann die Kommission beim Verfahren nach Artikel 7 nicht garantieren: Die selbst häufig kritisierte ungarische Regierung hat bereits angekündigt, einen möglichen Entzug der Stimmrechte Polens nicht mitzutragen.

Anders sieht es beim nun angekündigten Vertragsverletzungsverfahren aus: Wenn Polen hier nicht nachgibt, kann die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof ziehen. Dort entscheiden in letzter Instanz Richter und nicht Regierungen. Europarechtler Frank Schorkopf von der Universität Göttingen hält dies angesichts der erhitzten politischen Debatten ohnehin für deutlich sinnvoller. Alternativ könnten besorgte Länder Polen ja auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verklagen, schlägt er vor. „Dann könnten sich die Staaten nicht mehr hinter der Kommission verstecken, sondern müssten Farbe bekennen.“

Wo der Streit um den polnischen Rechtsstaat enden könnte, da ist der Knatsch um die Flüchtlingskrise längst gelandet. Ungarn und die Slowakei haben gegen die Entscheidung vom September 2015 zur EU-Umverteilung von bis zu 120 000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland geklagt und ein Urteil rückt in Reichweite.

Gut sieht es für die Regierungen in Budapest und Bratislava aktuell nicht aus: Ein wichtiger EuGH-Gutachter empfahl, ihre Klagen auf ganzer Linie abzuschmettern. Dem Argument, dass die Flüchtlingsverteilung ohnehin kaum vorankomme, erteilte Generalanwalt Yves Bot eine besonders deutliche Absage: „In der Tat haben die Slowakische Republik und Ungarn durch die Missachtung ihrer Umsiedlungsverpflichtungen dazu beigetragen, dass das in dem angefochtenen Beschluss festgelegte Ziel von 120 000 Umsiedlungen auch heute noch längst nicht erreicht ist“, schreibt er. Ein Urteil könnte ab September fallen. Meist halten die Richter sich dabei an die Empfehlung ihres Gutachters.

So lange wollte die EU-Kommission gar nicht warten: Sie ermittelt längst gegen Tschechien, Ungarn und Polen, weil sie ihre Verpflichtungen zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht einhalten. Nun setzte sie den Regierungen eine Frist von einem Monat, um einzulenken. Danach könnte sie die Länder verklagen.

In betroffenen Ländern stieß das alles auf wenig Verständnis. Polens Außenminister Witold Waszczykowski verbat sich eine Einmischung der EU-Kommission in die Justizreformen und wies die Brüsseler Bedenken als „unbegründet und verfrüht“ zurück. Die ungarische Regierung schäumte: „Der EuGH-Generalanwalt Yyes Bot scheint sich, wie schon vor ihm die EU-Kommission und der Europäische Rat, dem Soros-Plan angeschlossen zu haben“, erklärte der Staatssekretär im Justizministerium, Pal Völner, in Budapest. Mit dem „Soros-Plan“ ist die angebliche Absicht des US-Milliardärs George Soros gemeint, Flüchtlingsmassen nach Europa zu lenken. Die Slowakei wollte das Gutachten nicht kommentieren und das Urteil abwarten.

Richter werden am Ende Rechtssicherheit schaffen. Politische Weltbilder können auch sie nicht vereinheitlichen. Ein Bund aus (noch) 28 Staaten ist ohne Grundsatzkonflikte nicht zu haben. Offen ist, wie viele er auf die Dauer verkraftet.