„Das ist eine Bibel“: Populismus prägt Start der US-Vorwahlen
Des Moines (dpa) - Donald Trump setzt ein ernstes Gesicht auf. „Dies ist eine Bibel“, sagt er und zeigt das Buch Gottes in die Kamera.
„Meine Mutter hat sie mir einst geschenkt, sie ist mir sehr wichtig“, beteuert der zweimal geschiedene und dreimal verheiratete Baulöwe aus New York im Regionalfernsehen in Iowa.
Seit der Vorwahlkampf in den Vereinigten Staaten so richtig begonnen hat, scheint Donald Trump so ziemlich zu jeder Aussage bereit zu sein, wenn er nur glaubt, dass dies irgendjemandem gefallen könnte. Der Populismus regiert beim Start ins Wahljahr 2016, gewürzt mit einer gehörigen Portion Patriotismus. Egal ob Trump oder Hillary Clinton: Die Wahlkampfpodien gleichen einem Fahnenmeer aus Stars and Stripes.
„In Zeiten, in denen soziale und andere Medien ein Bild der Angst und Gefahren verbreiten, sehnen sich die Menschen nach einer Erklärung, warum vertraute und vorhersehbare Muster wegbrechen“, sagt Cornelia Flora-Butler, Soziologin an der Iowa State University in Ames. „Das sind Zeiten, in denen utopistische und religiöse Bewegungen Auftrieb erhalten. Und wenn wir auf einige Kandidaten der Republikaner schauen, dann sind wir davon nicht mehr weit weg.“
Trump, der noch nie zuvor eine Wahl als Bewerber erlebt hat, weiß, dass er Akzeptanzprobleme bei den tiefgläubigen Christen hat. Immerhin 800 000 der drei Millionen Einwohner des Agrarstaates Iowa werden dazu gezählt. Mit dem rechtskonservativen Anwalt Ted Cruz sitzt ihm ausgerechnet ein besonders bibelfester Predigersohn im Nacken.
In Iowa sollte am Montag mit einem Caucus - einer Serie meist kleiner Parteiversammlungen - der Reigen der Vorwahlen in den USA eröffnet werden. 55 weitere stehen noch aus, in 49 Bundesstaaten und sechs Überseegebieten. Im Sommer wählen Parteitage den jeweiligen Kandidaten von Republikanern und Demokraten.
Das Wahlsystem in Iowa soll eigentlich die Inhalte in den Vordergrund stellen. „Retail politics“, nennen das die Einheimischen, politischer Einzelhandel. Die Kandidaten müssen sich zeigen, diskutieren und Fragen beantworten. Trump stellt das auf den Kopf. Mit pompösen Massenveranstaltungen, oft mit von weither angereisten Fans, macht er das Gegenteil dessen, was geübte Tradition in dem Bundesstaat ist.
Kaum mehr als 24 Stunden vor dem Start der Caucus-Versammlungen in Iowa hat sich eine einflussreiche Gruppe sozialkonservativer Frauen, die sich für das Verbot von Abtreibungen einsetzt, gegen Trump ausgesprochen. Ob diejenigen, an denen der pure Populismus abprallt, noch mehrheitsfähig sind, muss die Abstimmung ergeben.
Trump stehe nicht klar genug hinter christlichen Werten wie Ehe, Familie und Schutz ungeborenen Lebens. „Wählt einen anderen Kandidaten“, hieß es in dem Aufruf. Gemeint war Ted Cruz.
Werde er denn gewählt, wolle er gleich am ersten Tag im Amt als 45. Präsident der Vereinigten Staaten folgendes tun: Das Atomabkommen mit dem Iran rückgängig machen, Barack Obamas Gesundheitsreform auslöschen, die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen und - natürlich - die Rechte amerikanischer Christen stärken. Außerdem liebe er seine Frau, ließ der Texaner eine Zuhörerschaft in Des Moines wissen.
Trump und Cruz sind bei weitem nicht die einzigen im Feld der Bewerber beider großer Parteien, die dazu neigen, genau das zu erzählen, was die jeweilige Zielgruppe gerade hören will. „Bisher war das meiste, was wir gehört hatten, hohle Rhetorik“, resümiert der „Des Moines Register“, die wichtigste Zeitung in Iowa.
Das Eindreschen auf das, was derzeit in Washington passiert, bietet sich für beide Seiten an. „Genug ist genug“, ruft Bernie Sanders vor 5000 Studenten. „Genug ist genug“, sagt Ted Cruz vor 2000 jubelnden Bauern in Iowa-City. Sie waren in die Halle einer Landwirtschaftsausstellung gekommen, um ihr Idol reden zu hören.
„Cannabis ist im Bundesgesetz mit Heroin gleichgestellt, das muss sich ändern“, ruft der Demokrat Sanders in das Rund an der Iowa University in Iowa City. Die Studenten johlen. Sanders lieferte der Favoritin Hillary Clinton in Iowa einen heißen Kampf und liegt im zweiten Vorwahl-Staat New Hampshire deutlich vorn.
Weil im darauffolgenden South Carolina die bei der schwarzen Minderheit beliebte Hillary Clinton haushoch führt, darf in Sanders Reden eine Umarmung für die Afro-Amerikaner nicht fehlen. „Es werden immer noch Menschen wegen ihrer Hautfarbe benachteiligt. Ich werde dafür sorgen, dass das aufhört.“ Ted Cruz schafft es gar, die Sicherung der US-Außengrenzen und das Beenden sexueller Sünden in einen Satz zu packen.
Der „demokratische Sozialist“ Sanders mit seiner Anti-Wall-Street-Masche macht Punkt um Punkt gegen Clinton wett. So kann - und muss - auch die frühere Außenministerin ordentlich holzen. „Wenn ganze Branchen gegen das Gesetz verstoßen, dann werde ich hinter ihnen her sein“, kündigt sie, ohne allzu konkret zu werden. „Wir holen es uns von den Reichen“, ruft sie ins Volk.
„Die Angst, die von der Rechten geschürt wird und das Wohlstandsgefälle, das so groß geworden ist, dass es die Linke beflügelt, hat wohl auf beiden Seiten zu einem Diskurs geführt, der eine Anti-Establishment-Richtung eingenommen hat“, sagt Professorin Cornelia Flora-Butler. Trump dagegen sei nicht einmal populistisch. „Er hat ja gar kein Programm, außer sich selbst als großen Problemlöser darzustellen.“
Im ersten Vorwahl-Staat Iowa haben die Kandidaten ein Mammutprogramm absolviert. Sie traten bei 1500 Kundgebungen auf, schalteten 60 000 Werbespots im Fernsehen. Allein Hillary Clinton will am Wochenende vor dem Caucus 125 000 Hände geschüttelt haben. Bis tief in die Nacht standen Sanders und Cruz noch am Sonntag auf der Bühne. Und das alles wegen ein paar Hunderttausend Wählern. Das Abschneiden ist dennoch wichtig, als psychologische Stütze, als Gradmesser, als Motivationsschub für die nächsten anstrengenden Monate.