Fragen und Antworten Der Showdown bei der SPD - und Plan B
Berlin (dpa) - Es gibt keine Umfragen, nur Kaffeesatzleserei. Nordrhein-Westfalen, „das ist unsere Black Box“, hört man in diesen Tagen überall in der SPD. Hier ist der größte Widerstand gegen die große Koalition zu spüren, hier entscheidet sich das Schicksal der geplanten Regierung.
Am Sonntagmorgen um 9 Uhr soll das Ergebnis des in ganz Europa mit Spannung erwarteten Mitgliedervotums verkündet werden, im Schatten der Willy-Brandt-Skulptur in der Berliner SPD-Zentrale.
Wie sind die Erwartungen?
Die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles glaubt, das Ergebnis werde „besser als befürchtet“ - aber sie sagt auch: „Einen Plan B habe ich nicht“. Außenminister Sigmar Gabriel betont: „Ich bin mir sicher, dass der Koalitionsvertrag eine Mehrheit bekommt. Daran gibt es gar keinen Zweifel.“ Juso-Chef Kevin Kühnert dagegen glaubt an einen knappen Sieg des Nein-Lagers. Die Abstimmungsbriefe werden am Samstagabend per Lastwagen von der Post zur SPD-Zentrale gebracht und von 120 Mitgliedern unter Notar-Aufsicht bis Sonntag ausgezählt. Klar ist: Eine Zustimmung von rund 75 Prozent wie 2013 gibt es wohl nicht.
Was sind die nächsten Schritte, wenn es gut geht?
Dann ist der Weg frei für eine Wiederwahl von Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD. Geplant ist das für den 14. März. Die SPD-Spitze will bei einem Ja beraten, wen sie ins Kabinett schickt. Gesetzt ist Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz als Vizekanzler und Bundesfinanzminister. Gabriel, dem seine Querschüsse und Alleingänge immer wieder angekreidet wurden, könnte als Außenminister abgelöst werden - als Kandidaten werden Heiko Maas, Katarina Barley und Thomas Oppermann gehandelt. Scholz müsste zunächst seine Nachfolge in Hamburg regeln, NRW müsste als größter Verband entscheiden, wer von dort ins Kabinett geschickt wird - Umweltministerin Barbara Hendricks könnte einer Erneuerung zum Opfer fallen. Spätestens am 12. März soll die Besetzung der sechs SPD-Ministerien komplett geklärt sein.
Und was passiert bei einem Nein?
Eigentlich will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag die deutschen Teilnehmer der Winter-Paralympics verabschieden, die nach Südkorea fliegen. Das müsste er wohl absagen und das Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) suchen. Da neue Sondierungen, etwa über die von der FDP für gescheitert erklärte Variante Jamaika (Union, FDP, Grüne) höchst unwahrscheinlich sind, käme Artikel 63 des Grundgesetzes ins Spiel. Steinmeier könnte Merkel dem Bundestag zur Wahl vorschlagen. Mangels Mehrheit könnte sie nach zwei gescheiterten Wahlgängen im dritten Wahlgang mit einer einfachen Mehrheit gewählt werden - also mit mehr Stimmen als ein möglicher Gegenkandidat.
Und dann wäre Merkel erstmal weiter Bundeskanzlerin?
Das hängt von Steinmeier ab. Er kann Merkel zur Kanzlerin ernennen. Sie müsste fortan für den Haushalt und alle Gesetze eine Mehrheit suchen, also vor jeder Bundestagsabstimmung Verhandlungen mit SPD, Grünen und FDP führen. Verhandlungen mit Linken und AfD lehnt die Union ab. CDU und CSU würden alle Minister stellen in einer Minderheitsregierung, die es noch nie gab. Merkel könnte aber immer über ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt werden, da es eine Mehrheit gegen die Union gibt. Und auch international hätte die Kanzlerin kaum Prokura, etwa in der Europapolitik. Alternativ hätte Steinmeier nach einer Wahl Merkels eine Woche Zeit, um stattdessen den Bundestag aufzulösen und um Neuwahlen anzusetzen. Dann müsste binnen 60 Tagen neu gewählt werden.
Was passiert dann mit der SPD-Spitze?
Dann wäre der gesamte Vorstand beschädigt, der für ein Ja eingetreten ist. Nahles könnte darauf verzichten, sich wie bisher geplant auf einem Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden zur neuen Vorsitzenden wählen zu lassen. Gewinner der Abstimmung wäre Juso-Chef Kühnert, der die NoGroKo-Kampagne angeführt hat. Aber der 28-Jährige lehnt es strikt ab, SPD-Chef zu werden. Völlig unklar ist, mit welcher Botschaft die schon nach dem Rücktritt von Martin Schulz in schwere Turbulenzen geratene Partei in den Wahlkampf ziehen würde. Und mit wem als Kanzlerkandidaten. Die SPD müsste befürchten, von der AfD überrundet zu werden. Kühnert dagegen hält die GroKo für die schlechtere Alternative, da die SPD als Mehrheitsbeschaffer von Merkel jetzt schon viel zu viel Vertrauen und Profil eingebüßt habe.
Was stößt bei der SPD-Basis auf besonders viel Kritik?
Es würden Milliarden nach dem Prinzip Gießkanne verteilt, es gebe ein „Weiter so“, nichts Neues, keiner wisse mehr, wofür die SPD stehe. Es gibt Sehnsucht nach linken Projekten, mehr Gerechtigkeitspolitik, auch um Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Juso-Chef Kühnert kritisiert, es gebe über 100 Kommissionen und Prüfaufträge im Koalitionsvertrag, viel Vertagung und Kompromiss, keine Maßnahmen gegen die ungleiche Vermögensverteilung. Eine NoGroKo-Initiative aus NRW, unterzeichnet auch von Landesvorstandsmitgliedern, meint: im Vertrag sei viel Blendwerk. So werde die sachgrundlose Jobbefristung in Betrieben über 75 Beschäftigten zwar eingeschränkt. In kleineren Betrieben und im öffentlichen Dienst bleibe sie komplett bestehen.
Was könnte den Ausschlag geben?
Gar nicht so sehr die Inhalte mit Verbesserungen bei Rente, Bildung, Gesundheit und einem schrittweisen Ende des Solidaritätszuschlags („Soli“) und Ausgaben von zusätzlich bis zu 45 Milliarden Euro. Jedes Mal ist die SPD aus einer großen Koalition mit Merkel mit einem noch schlechteren Bundestagswahlergebnis herausgekommen. Das erneute GroKo-Beschwören der SPD-Spitze erinnert einige Genossen (mit einem Augenzwinkern) an Albert Einstein und seine Definition des Wahnsinns: „Immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis erwarten.“ Aber die Gefahr eines Überholens durch die AfD bei Neuwahlen lassen viele aus Angst doch dass Kreuz bei Ja machen, eine Wahl zwischen Pest und Cholera. SPD-Vize Ralf Stegner formulierte sein Verhältnis zur GroKo einmal so: „Ich find' die so attraktiv wie Fußpilz.“