Porträt Der unsichtbare „Kalif“: IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi

Damaskus (dpa) - Der Mann, den die Öffentlichkeit nur von einem Video aus dem Sommer von vor drei Jahren kennt, ist schon oft für tot erklärt worden. Das erste Mal tauchte ein angebliches Foto des Leichnams von Abu Bakr al-Bagdadi im November 2014 auf.

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Da war es gerade erst ein paar Monate her, dass Al-Bagdadi das Kalifat ausgerufen und mit schwarzem Turban, schwarzem Umhang und schwarzem Bart in einer Moschee in Mossul gepredigt hatte. Das nächste Mal starb der Anführer der derzeit mächtigsten Terrorgruppe der Welt im Oktober 2015. Und dann noch einmal im Juni 2016. Zwischendurch wurde er mehrfach schwer verletzt - angeblich. Denn der meistgesuchte Terrorist der Welt regierte seinen „Islamischen Staat“ stets aus dem Verborgenen.

Meldungen über den angeblichen Tod des IS-Anführers förderten Al-Bagdadis Ruf als „unsichtbarer Scheich“, der den Bomben seiner Feinde stets entgeht. Jetzt soll er bei einem russischen Luftangriff nahe dem syrischen Al-Rakka, der inoffiziellen Hauptstadt des IS, umgekommen sein. Das russische Verteidigungsministerium prüft nach eigenen Angaben entsprechende Berichte.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow wollte den Tod Al-Bagdadis aber zunächst genausowenig bestätigen wie das Zentralkommando der US-Streitkräfte. „Bislang habe ich noch keine hundertprozentige Bestätigung zur Tötung von Al-Bagdadi“, sagte der russische Chefdiplomat am Freitag in Moskau der Agentur Tass zufolge.

Der Luftangriff soll den Angaben aus Moskau zufolge in der Nacht zum 28. Mai erfolgt sein. Al-Bagdadi soll abends an einem Treffen mit anderen Anführern des Islamischen Staates teilgenommen haben. Sie sollen Routen geplant haben, um Al-Rakka zu verlassen. Vor gut zwei Wochen hatte ein Militärbündnis mit dem Sturm auf die Stadt begonnen.

Bei dem Luftangriff sollen auch weitere Anführer des IS, 30 Kommandeure und rund 300 Kämpfer getötet worden sein. Der Islamische Staat steht sowohl im syrischen Al-Rakka, als auch in seiner irakischen Hochburg Mossul kurz vor einer Niederlage. Der Tod ihres Anführers würde einen schweren Schlag für die Terrormiliz bedeuten.

Al-Bagdadis Taktik, kaum öffentlich aufzutreten und ständig den Aufenthaltsort zu wechseln, offenbart nach Ansicht des deutschen Verfassungsschutzes einen Schwachpunkt in der Taktik des IS-Anführers. Nachrichten über seinen Tod brächten sicherlich viele Anhänger zum Zweifeln, hieß es im vergangenen Jahr noch in einer Analyse.

Aber auch schon vor seiner Zeit als Anführer der Terrormiliz lebte Abu Bakr al-Bagdadi relativ unscheinbar, wie aus den wenigen konkreten Informationen hervorgeht, die es über den Topterroristen gibt. Es heißt, als junger Mann habe er nicht nur den Fußball geliebt, sondern sei auch ein ausgezeichneter Spieler gewesen.

Doch statt zum Sport zog es ihn nach der Sturz Saddam Husseins durch US-Truppen im Jahr 2003 immer mehr zum Extremismus hin. Aus einem unauffälligen Prediger wurde ein immer glühenderer Islamist - und ausgerechnet die USA trugen einen erheblichen Teil dazu bei. 2004 geriet Al-Bagdadi in US-Gefangenschaft, wohl mehr aus Zufall. Längere Zeit verbrachte er damals in dem berühmt-berüchtigten US-Gefängnis „Camp Bucca“, das auch den Spitznamen „Terror-Akademie“ trug, weil sich hier die Extremisten gegenseitig ideologisch befeuerten. Als Al-Bagdadi wieder freikam, verfügte er über beste Beziehungen zu radikalen Kreisen, die ihm den Weg zum Vorläufer des IS bahnten.

Schon damals zeichnete sich die Gruppe durch ihre brutale Gewalt aus. Unter Führung Al-Bagdadis etwa köpften die Extremisten ausländische Gefangene wie den US-Journalisten James Foley. Ein jordanischer Pilot wurde bei lebendigem Leib verbrannt. Tausende Frauen der religiösen Minderheit der Jesiden kamen als Sex-Sklavinnen in Gefangenschaft. Sogar die Führung des Terrornetzwerks Al-Kaida geißelte irgendwann die Brutalität des IS, bis es im Laufe des Jahres 2013 zum Bruch kam.

Die genaue Kommandostruktur des IS ist unklar. Je mehr sich die Islamisten in Syrien und im Irak zurückgedrängt fühlen, desto vehementer schlagen sie mit weltweiten Anschlägen im Namen des IS zurück. Auch Russland wurde im April zum Ziel: In einer Metro in St. Petersburg tötete ein IS-Anhänger mehr als ein Dutzend Menschen.

Sollte sich herausstellen, dass Al-Bagdadi tatsächlich bei einem russischen Luftangriff ums Leben gekommen ist, dann wäre das auch ein Erfolg für Russlands Präsident Wladimir Putin. Die Luftangriffe, die Russland seit fast zwei Jahren in Syrien fliegt, stehen immer wieder international in der Kritik. Auch die Friedensgespräche zu Syrien stocken seit längerem.

Zweifellos gilt Abu Bakr al-Bagdadi als die Schlüsselfigur des IS. Die USA hatten zuletzt die Belohnung für ihn auf 25 Millionen Dollar erhöht. Doch schon einmal wurde ein Anführer der Terrormiliz getötet: Abu Musab al-Sarkawi im Jahr 2006. Auch das galt als schwerer Schlag für die Organisation. Tatsächlich sollte ihre mächtigste Zeit damals aber erst noch kommen. Symbolisch wäre der Tod aber in jedem Fall ein harter Schlag für den IS.