Analyse „Der Winter kommt“ - Donald Trump und die Medien
Washington (dpa) - Jim Acosta gab sich alle Mühe. Hochaufrecht stand der erfahrene CNN-Recke vor dem bald mächtigsten Mann der Welt, lange 30 Sekunden. Scharf hatte Donald Trump CNN angegriffen, und Acosta wollte zurückfragen - übliche Praxis.
Stattdessen fing er sich gleich mehrere Blitze aus Trumps Olymp ein, und die hatten es in sich: „Ihre Organisation ist entsetzlich“, der Reporter selbst „fake news“ - eine Falschmeldung. Nein, er werde Acosta keine Frage gestatten.
Der düsteren Serie „Game Of Thrones“ ist die Dachzeile „Winter is coming“ entlehnt. Der Winter kommt: Darunter erscheinen in Amerika seit Monaten Aufsätze und Artikel zu der Frage, wie sich in den USA unter Trump auch das Verhältnis zu den Medien ändern wird. Trump raunte schon öfter, er wolle es leichter machen, Medien zu verklagen.
„Die niedrigste Form des Daseins“ - das stammt aus dem Wahlkampf, da hatte Trump es Journalisten generell entgegengeschleudert. Prompt wurden auf seinen Veranstaltungen T-Shirts gesichtet, auf denen die Worte prangten „Seil. Baum. Journalist.“ Es gibt US-Journalisten, die vorsichtig geworden sind, sich öffentlich zu ihrem Beruf zu bekennen.
„Für eine freie Presse und eine Kontrolle der Macht ist dies die dunkelste Zeit in der amerikanischen Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg“, schreibt Jay Rosen von der New York University. Extremer ökonomischer Druck, massiver Ansehensverlust, zu viel Entertainment und ein schlingernder Politikjournalismus sind nur einige seiner Argumente. Die Zersplitterung der Meinungen durch soziale Medien und die Professionalisierung interessengeleiteter Kommunikation tun ein Übriges.
Im Kern vieler Analysen steht die Frage, ob Trump außerhalb sorgfältig konfektionierter 1:1-Interviews Medien überhaupt noch brauche. Sein Twitter-Account verschafft ihm ein stetes Millionenpublikum, auch wenn eine Umfrage nahelegt, dass er diese Botschaften als Präsident unterlassen möge: drei von vier Amerikanern und sogar 45 Prozent der Republikaner sind davon genervt.
Trumps Team hat offengelassen, ob und wie es das tägliche Briefing des Weißen Hauses weiterhin geben wird, für Medien in Washington eine eminent wichtige Quelle. Der künftige Vizepräsident Mike Pence sagte nach den jüngsten Veröffentlichungen zu angeblich Trump belastendem Material in Russland, die Amerikaner seien diese Art gefälschter Nachrichten leid. Trumps Sprecher Sean Spicer hieb in die gleiche Kerbe, nur wuchtiger.
Später in der Pressekonferenz trat Trump noch nach in Richtung der Website Buzzfeed: ein versagender Haufen Müll. Der künftige US-Präsident sprach in etwa so, wie er sonst twittert. Mehrfach bedankte er sich bei der „New York Times“ und anderen, dass sie die neuen Berichte über ihn mit dem angeblich belastendem Material nicht veröffentlicht hätten, anders als nun Buzzfeed und CNN.
Um diese Veröffentlichung ist ein intensiver Streit entstanden, kursiert das Material doch seit dem Herbst 2016. Anders aber als bei den durchgestochenen Mails von Hillary Clinton, die oft zunächst auch niemand überprüfen konnte, verzichteten bislang alle auf Publikation, zu groß waren die Zweifel an Echtheit und Überprüfbarkeit des Materials, sie verweisen auf journalistische Ethik und Fairness. Verteidiger der Veröffentlichung wie die hochangesehene Columbia Journalism Review nennen das Feigheit vor dem Feind.
Nach der Pressekonferenz fragten sich viele, wie hilfreich solche Veranstaltungen generell sein mögen. Trump habe die Rolle der Medien überhaupt nicht begriffen, kritisierte der Deutsche Journalistenverband. Andererseits mögen auch Trump-Wähler ihr eigenes Bild von einer schreienden US-Medienmeute gehabt haben, die sich aufgeregt in der engen Lobby drängelte, aber Zeit für Selfies fand. Und welchen Bezug gibt es zwischen den in der Pressekonferenz gestellten Fragen und den Themen, die Trumps Wähler umtreiben?
Etwas bizarr an der aktuellen Situation ist, dass in Trump jemand Wahrheit und Klarheit für sich reklamiert, der seit Monaten wiederholt der Lüge überführt wurde. Dem Halbwahrheiten und das sogenannte „Bullshitting“ den Weg geebnet haben: Irgendetwas behaupten, an dem vielleicht ein bisschen was dran ist - dann zwar widerlegt werden, aber irgendetwas bleibt schon hängen. In Stephen Bannon, dem Ex-Chef der stramm konservativen Webseite Breitbart News, hat der Präsident einen versierten Chefstrategen an seiner Seite.
Nie haben Medien einen Kandidaten mehr auf den Faktencheck-Grill gelegt als Trump, und nie hat es weniger bewirkt. Dennoch: Die großen US-Blätter wie die „New York Times“ und „Washington Post“ stocken ihre Berichterstattung aus dem Weißen Haus erheblich auf. Sie begründen das damit, dass es nie wichtiger war, kenntnisreich und tief über eine Präsidentschaft und ihre Folgen zu berichten.
Manche stimmt es da hoffnungsvoll, dass die Abo-Zahlen einiger Publikationen steigen, dazu zählen „The New Yorker“, „The Atlantic“, „Mother Jones“ oder „Vanity Fair“. Dem Sendernetzwerk NPR hören mehr Menschen zu, Blogs und Plattformen wie ProPublica verzeichnen mehr Zuwendungen. Viele Medien haben ihre nicht immer hilfreiche Rolle im Wahlkampf kritisch analysiert, wollen es nun besser machen, mehr zuhören, rausgehen zu den Menschen, ausgetretene Pfade ebenso verlassen wie Filterblasen.
Im Weißen Haus regiert bald ein ehemaliger Reality-TV-Star, der das Spiel mit den Medien über lange Jahre perfektioniert hat. Einer Bedrohung der Freiheit der vierten Gewalt steht gegenüber, wie wichtig Berichterstattung über die Verflechtungen in der Trump-Familie oder drohende Interessenkonflikte seiner Kabinettsmitglieder ist.
Am Mittwoch wurde Barack Obamas scheidender Sprecher Josh Earnest gefragt, wie sehr man im Weißen Haus vor einer Bunkermentalität gefeit sei. Seine Antwort: „Dagegen muss man gewappnet sein. Unsere Demokratie ist so konstruiert, dass freie und unabhängige Medien diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die an der Macht sind.“