Porträt Die beiden Bürgerlichen: Das grüne Spitzenduo
Berlin (dpa) - In der Regel setzen die Grünen bei ihren Spitzenduos auf eine doppelte Quote - Frau und Mann, linker und realpolitischer Parteiflügel. Diesmal hat die Basis anders entschieden.
Die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl haben etwas gemeinsam, findet Wahlkampfleiter Michael Kellner: „Sie wurden beide durch die gravierenden Brüche unserer Zeit geprägt.“
Wer CEM ÖZDEMIR eine Frage stellt, hört als Antwort sehr oft eine Anekdote. Vielleicht von seinen Eltern, den Gastarbeitern, die für die Zukunft ihres Sohnes geschuftet haben und als Türken im schwäbisch-provinziellen Bad Urach klarkommen mussten. Oder von der Mutter eines Freundes, die ihn dazu brachte, seine Hausaufgaben zu machen. Oder von Lehrern, die den heutigen Parteichef der Grünen auslachten, weil er aufs Gymnasium wollte.
Mittlere Reife, Ausbildung zum Erzieher, Fachhochschulreife, Sozialpädagogik-Studium, das sind die Stationen in der Ausbildung des „anatolische Schwaben“, wie er sich nennt. Zu den Grünen kam der heute 51-Jährige als Teenager im Jahr 1981. Als erster Abgeordneter türkischer Herkunft zog er 1994 in den Bundestag ein.
Auf Ärger um dienstlich gesammelte, aber privat genutzte Bonusmeilen und einen Privatkredit folgte ab 2002 eine bundespolitischen Auszeit in den USA und Brüssel. Von 2004 bis 2008 war Özdemir Mitglied im EU-Parlament. 2008 folgte er auf Reinhard Bütikhofer an der Spitze der Grünen, seit 2013 sitzt er wieder im Bundestag. Zusammen mit Kerstin Andreae führt er die Landesliste der Baden-Württemberger Grünen für die Bundestagswahl an.
Özdemirs Themen haben oft mit seiner Biografie zu tun, etwa Integration und Bildungschancen. Er spricht gern über Außenpolitik und gilt als Kandidat für das Amt des Außenministers, falls die Grünen mitregieren sollten. Besonders gefragt war er zuletzt als Interviewpartner zu den Themen Armenien-Resolution und Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Der zweifache Vater gehört zum bürgerlich-realpolitischen Flügel seiner Partei.
KATRIN GÖRING-ECKARDT geht gerne joggen, auch früh am Morgen oder bei Eiseskälte im Schnee. Die zweifache Mutter gehört zu den wenigen prominenten Grünen aus Ostdeutschland. Oft erzählt sie, wie sie mit ihrem Baby im Tragetuch vor der Wende auf Demos ging, obwohl die Wasserwerfer schon bereitstanden - vor allem, wenn es um Bürger- und Freiheitsrechte geht.
Im thüringischen Gotha besaßen die Eltern der heute 50-Jährigen eine Tanzschule. Die Mutter durfte wegen ihres kirchlichen Engagements kein Abitur machen, Göring-Eckardt nennt sie als ihr Vorbild für Haltung und Unbeirrbarkeit. Auch sie ist Christin und in der evangelischen Kirche engagiert, was ihr im bürgerlichen Lager Sympathien einbringt. Ein Theologiestudium hat sie abgebrochen.
In der Wendezeit gründete die als wertkonservativ geltende Politikerin die Bürgerbewegung Demokratie Jetzt mit. Sie ging bald schon im Bündnis 90 auf, das sich 1993 mit den Grünen zusammenschloss. Im Bundestag sitzt sie seit 1998. Gemeinsam mit dem Parteilinken Anton Hofreiter führt Göring-Eckardt die Grünen-Fraktion seit 2013 zumindest nach außen hin reibungsfrei. Den Job als Fraktionschefin hatte sie auch von 2002 bis 2005 schon mal, damals setzte die die Reform-Agenda 2010 bei den Grünen mit durch.
Die Wahl zur Spitzenkandidatin war 2013 für viele eine Überraschung, die Grünen-Promis Claudia Roth und Renate Künast hatten das Nachsehen. Diesmal wollte niemand gegen die Realo-Frau antreten, die von ihrem Landesverband in Thüringen bereits wieder auf Platz eins der Landesliste gewählt wurde.