Urteil vertagt Die Diesel-Ungewissheit dauert noch etwas länger
Leipzig (dpa) - Die Diesel-Ungewissheit dauert noch etwa länger: Erst am kommenden Dienstag, 27. Februar, will das Bundesverwaltungsgericht Klarheit schaffen, ob im Kampf gegen zu schmutzige Luft in Städten auch Fahrverbote ein zulässiges Mittel wären.
Eine einfache Frage ist das nicht - schon die Bestandsaufnahme der Richter bei der Verhandlung am Donnerstag in Leipzig dauerte stundelang.
WAS IST DAS PROBLEM?
Seit Jahren werden in vielen Städten Schadstoff-Grenzwerte nicht eingehalten. Dabei geht es um Stickoxide (NOx). Das sind Gase, die in höherer Konzentration giftig sind. Sie können Atemwege und Augen reizen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenprobleme auslösen. Rund 6000 Menschen in Deutschland sterben einer Studie des Umweltbundesamts zufolge pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die von Stickstoffdioxid ausgelöst werden. Nach aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts sank die Belastung zuletzt zwar etwas. Immer noch aber werden die Grenzwerte in knapp 70 Städten überschritten - am stärksten in München, Stuttgart und Köln.
Der Verkehr trägt laut Umweltbundesamt 60 Prozent zur NOx-Belastung bei. Daran wiederum sind Diesel-Fahrzeuge zu 72,5 Prozent beteiligt. Sie sind die Hauptquelle für Stickoxide in den Städten. Für die Einhaltung von Grenzwerten laufen seit Jahren Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die EU-Kommission macht auch Druck, es droht eine Klage am Europäischen Gerichtshof.
Auch in den ersten sechs Wochen dieses Jahres wurden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid-Belastungen in vielen Städten überschritten, wenn auch nicht so schlimm wie im Vorjahreszeitraum. Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) bezieht sich der Grenzwert von 40 µg/m3 (Mikrogramm pro Kubikmeter) auf ein Jahresmittel des gesamten Kalenderjahres. Zum jetzigen Zeitpunkt sei daher eine Prognose noch nicht möglich.
WORUM GEHT ES BEIM BUNDESVERWALTUNGSGERICHT?
Das Gericht soll darüber befinden, ob auch Fahrverbote für Dieselautos in besonders belasteten deutschen Städten ein rechtlich zulässiges Mittel wären - und auch ohne eine bundesweite Regelung in die jeweiligen Luftreinhaltepläne aufzunehmen sind. Die Leipziger Richter werden aber nicht selbst Fahrverbote anordnen.
Konkret geht es um die Luftreinhaltepläne von Düsseldorf und Stuttgart. Die zuständigen Verwaltungsgerichte hatten nach einer Klage der DUH die Behörden verpflichtet, ihre Pläne so zu verschärfen, dass Grenzwerte möglichst schnell eingehalten werden.
Das Stuttgarter Gericht nannte Fahrverbote dabei die „effektivste“ Maßnahme. Der Gesundheitsschutz in der Stadt sei höher zu bewerten als die Interessen von Dieselfahrern. Das Düsseldorfer Gericht urteilte, Diesel-Fahrverbote müssten „ernstlich geprüft“ werden.
WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT DIE ENTSCHEIDUNG DES GERICHTS?
Auch wenn das Bundesgericht konkret nur über die beiden Fälle in NRW und Baden-Württemberg verhandelt - die Entscheidung hat eine deutschlandweite Signalwirkung. Vor allem dann, wenn das Gericht zu dem Schluss käme, dass Fahrverbote rechtlich zulässig sind.
Für jede Stadt, in der Grenzwerte überschritten werden, wäre es dann möglich, Fahrverbote für ältere Diesel als Option in den jeweiligen Luftreinhalteplan aufzunehmen. Es gibt aber keinen Automatismus. Nicht nur aus Sicht der DUH aber sind Fahrverbote das effektivste Mittel für saubere Luft. Die DUH hat insgesamt rund 60 Rechtsverfahren eingeleitet.
Es könnte dann aber von Stadt zu Stadt noch Wochen oder Monate dauern, bis Fahrverbote wirklich in Luftreinhaltepläne aufgenommen werden. Fahrverbote wären immer eine Einzelfall-Entscheidung und könnten unterschiedlich ausfallen. Sie könnten zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein, in denen die Grenzwerte am stärksten überschritten werden.
WELCHE FOLGEN HÄTTEN FAHRVERBOTE?
Sie könnten große Auswirkungen haben. In Deutschland gibt es Millionen von Dieselautos. Kommunale Spitzenverbände und die Wirtschaft warnen davor, dass bei Fahrverboten das städtische Leben lahmgelegt werden könnte. Zum Beispiel könnten Läden in Innenstädten nicht beliefert werden oder Handwerker nicht mehr zu Kunden kommen. Dafür könnte es aber Ausnahmeregelungen geben, wie auch für Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr oder Apotheken. Betroffen wären aber auf jeden Fall zahlreiche Pendler. Fahrverbote hätten außerdem massive Folgen für die Autohersteller. Die Diesel-Neuzulassungen gehen bereits seit Monaten zurück. Der Antrieb ist aber sehr wichtig für die Autoindustrie. Dieselfahrern drohen starke Wertverluste ihrer Autos.
Die Politik will Fahrverbote unbedingt vermeiden. Sie hat ein Milliardenprogramm „Saubere Luft“ für Kommunen auf den Weg gebracht. Dabei geht es etwa um eine bessere Taktung des ÖPNV oder die Umrüstung von Bussen und Taxen. Mit Software-Updates für Millionen Fahrzeuge wollen die Hersteller die Emissionen senken. Umweltverbände kritisieren, das reiche nicht aus. Umbauten direkt am Motor wären aus Sicht vieler Experten wirksamer. Die Autoindustrie lehnt dies unter anderem mit Verweis auf hohe Kosten ab. Hält Leipzig Fahrverbote für rechtlich zulässig, steigt der Druck auf Politik und Hersteller, Hardware-Nachrüstungen auf den Weg zu bringen.
UND WELCHE ROLLE SPIELT DIE „BLAUE PLAKETTE“?
Falls das Gericht den Weg für Fahrverbote ebnet, dürfte sofort eine breite politische Debatte nicht nur über wirksamere Nachrüstungen von Dieselautos einsetzen, sondern auch über die Einführung einer „blauen Plakette“. Umweltverbände, aber auch Länder fordern sie seit langem. Damit wären Unterscheidungen möglich. Es käme nicht zu pauschalen Fahrverboten für Dieselautos in Stadtgebieten, die stark belastet sind. Die Plakette würden moderne Wagen mit der Abgasnorm Euro 6 bekommen. Sie wären von Fahrverboten ausgenommen. Mit einer bundesweiten „blauen Plakette“ könnte ein Flickenteppich vieler unterschiedlicher Regeln verhindert werden.
Die Bundesregierung lehnt die Plakette bisher ab. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sagte, eine solche bedeute „nichts anderes als die kalte Enteignung von Millionen von Diesel-Besitzern“. Denn nur wenige Dieselautos erfüllen die neueste Abgasnorm - Millionen andere dagegen nicht. Diese Autofahrer müssten sich dann entweder ein neues Auto kaufen oder ihren Wagen nachrüsten lassen. Kritiker werfen der Regierung vor, auf Zeit zu spielen. In der Autoindustrie selbst dagegen ist die Zustimmung für eine „blaue Plakette“ zuletzt deutlich gestiegen.