Die Matrjoschka-Waffenruhe: Neue Hoffnung für Ukraine
Slowjansk (dpa) — Der Krieg ist an diesem Tag in Slowjansk einigermaßen weit weg. So weit jedenfalls, dass sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault ohne größere Gefahr die Reste der Brücke ansehen können, die die prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine in Trümmer gelegt haben.
Die eine Hälfte ragt noch über den Fluss, die andere ist in sich zusammengesunken. Es ist ein absurdes Bild.
Gut 70 Kilometer sind es von hier noch bis zur „Kontaktlinie“, wo sich die feindlichen Truppen von ukrainischer Armee und Rebellen gegenüberstehen. Vor allem aber gilt seit Mitternacht ukrainischer Zeit auch noch eine neue Waffenruhe, die zumindest die ersten Stunden hält. „Es hat seit Mitternacht kaum noch Verletzungen des Waffenstillstands gegeben“, berichtet Steinmeier, der aktuell auch noch OSZE-Vorsitzender ist, am Donnerstag. Endlich wieder einmal, nach fast schon 10 000 Toten, ein Fortschritt.
Die Feuerpause hatten Steinmeier und Ayrault erst am Abend zuvor, bei einem Treffen mit Präsident Petro Poroschenko in Kiew, perfekt gemacht — auch wenn die Ukrainer von der Vereinbarung, die ihren Ursprung wohl in Moskau hat, nicht so richtig viel halten. Man merkte dies daran, dass sie die neue Feuerpause nicht selber bekanntgaben, sondern es Steinmeier überließen. Das Misstrauen gegenüber Moskau und den Rebellen ist weiterhin enorm.
Die Waffenruhe ist zunächst auf sieben Tage befristet, bis Donnerstag nächster Woche. Ziel ist jedoch, daraus einen Waffenstillstand zu machen, der Bestand hat. Und endlich auch bei der Suche nach einer politischen Lösung voranzukommen.
Wenn die Feuerpause die ersten Tage übersteht, soll am Dienstag ein „Entflechtungsplan“ unterzeichnet werden, in der sich beide Seiten dazu verpflichten, ihre Truppen von der fast 500 Kilometer langen „Konfliktlinie“ zurückzuziehen. Die drei Orte, wo der Anfang gemacht werden soll, stehen schon fest. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll kontrollieren.
Grundlage für alles bleiben die Friedensvereinbarungen, die vor anderthalb Jahren in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ausgehandelt wurden. Daran wollen Deutsche und Franzosen, die vermittelt haben, nicht rütteln lassen. Ayrault betont: „Es gibt keinen Plan B.“
Bislang ist allerdings nur ein kleiner Teil umgesetzt. Im letzten halben Jahr gab es überhaupt keine Bewegung mehr. Steinmeier gibt zu: „Der Fortschritt bei der Umsetzung von Minsk in diesem Jahr war eine Schnecke - und sogar eine ziemlich langsame.“
Der SPD-Mann weiß, wie das hier funktioniert. Oder besser: wie nicht. Steinmeier hat in der Ukraine auch schon erlebt, dass mühsamst ausgehandelte Vereinbarungen nach 24 Stunden nichts mehr wert waren. Beginnt man zu zählen, kommt man auf mindestens drei Waffenruhen, die aktuell gerade vereinbart sind: den Ursprungsplan von 2015, die Feuerpause, die mit Beginn des neuen Schuljahrs am 1. September in Kraft trat, und jetzt noch die neue.
Es ist wie mit den russischen Matrjoschka-Puppen, bei denen immer eine neue zum Vorschein kommt: die Waffenruhe in der Waffenruhe in der Waffenruhe. Aber vielleicht klappt es dieses Mal ja doch.
Werden die ersten Tage gut überstanden, könnte es nächste Woche schon, am Rande der UN-Vollversammlung in New York, erstmals wieder ein Treffen im sogenannten Normandie-Format geben, also zwischen der Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland. Steinmeier und seine drei Kollegen - vor allem der Russe Sergej Lawrow - wären alle da.
Bei einem solchen Treffen ginge es dann darum, endlich auch den sogenannten politischen Prozess wieder voranzubringen. Die längst geplanten Lokalwahlen vorbereiten, den im Prinzip schon vereinbarten Sonderstatus für die besetzten Gebiete, ein Amnestiegesetz und den Austausch von Gefangenen.
Und wenn es dabei ebenfalls Fortschritte gäbe, wäre Gelegenheit für ein neues Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Inzwischen ist es fast ein Jahr her, dass Poroschenko, Wladimir Putin, Francois Hollande und Angela Merkel zum letzten Mal zusammensaßen. Eigentlich hätte die Neuauflage in diesem Sommer stattfinden sollen. Mangels Aussicht auf Erfolg wurde darauf verzichtet. Jetzt hofft man auf Oktober. Der Ort des Treffens steht jedenfalls schon fest: Berlin.