Die wichtigsten Fakten zum Tugce-Prozess
Darmstadt (dpa) - Im Prozess um den Tod der Studentin Tugce wird heute das Urteil gegen Sanel M. verkündet. Was hat die Beweisaufnahme ergeben? Mit welcher Strafe muss der 18-Jährige rechnen? Die wichtigsten Antworten zu dem Prozess:
Was wird Sanel M. vorgeworfen?
Er ist vor dem Landgericht Darmstadt wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Zum Prozessauftakt gestand er, Tugce in der Nacht des 15. November 2014 auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants in Offenbach eine Ohrfeige gegeben zu haben. Die damals 22 Jahre alte Lehramtsstudentin stürzte, zog sich schwere Kopfverletzungen zu und starb später in einem Krankenhaus.
Woran starb Tugce genau?
Todesursache war eine Hirnblutung. Diese wurde nach Aussage des Gutachters durch den harten Aufschlag des Kopfes auf den Boden ausgelöst. Möglicherweise hatte Tugce durch die Ohrfeige einen Blackout, so dass sie ohne Abwehrreaktion stürzte. Nicht für den Tod ursächlich waren die Ohrringe der jungen Frau. Zwar bohrte sich beim Sturz eine drei Zentimeter lange Kante in den Kopf. Dies führte laut Gutachter aber nicht zur Hirnblutung.
Wieso erregte der Fall so großes Aufsehen?
Tugce soll auf der Toilette des Restaurants zwei damals 13-jährigen Mädchen geholfen haben, Sanel M. und dessen Freunde loszuwerden. Dass sie später zu Tode kam, wurde mit diesem Vorfall in Verbindung gebracht, ihr Verhalten als Beispiel für Zivilcourage gefeiert. Im Prozess blieb jedoch offen, ob die Mädchen tatsächlich die Hilfe Tugces benötigt hatten. Zudem wurde klar, dass sich die Gruppe um Sanel M. mit Tugce und ihren Freundinnen mehrfach gegenseitig schwer beleidigt und provoziert hatten.
Welche Rolle spielten die Zeugen?
Die Zeugen äußerten sich vor Gericht oft widersprüchlich, wichen von ihren früheren Aussagen teils deutlich ab oder stellten sich offensichtlich auf die Seite Tugces oder Sanel Ms. „Nur mit Zeugenbeweisen alles aufzuklären wäre äußerst schwierig gewesen“, sagte Oberstaatsanwalt Alexander Homm. Nutzen konnten die Prozessbeteiligten allerdings Aufnahmen mehrerer Überwachungskameras am Tatort.
Wird Sanel M. als Erwachsener oder als Jugendlicher behandelt?
Anklage, Nebenklage und Verteidigung plädierten auf eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht, da Sanel M. zum Zeitpunkt der Tat gerade 18 Jahre und zehn Tage alt war und bei ihm eine Reifeverzögerung vorliegt. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Gericht dieser Auffassung folgen wird.
Welches Strafmaß muss er erwarten?
Das Jugendstrafrecht sieht für gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge ein Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vor. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer drei Jahre und drei Monate Jugendgefängnis. Die Nebenklage deutete an, dass sie eine höhere Strafe begrüßen würde. Die Verteidigung plädierte auf eine Jugendstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Der Bewährungszeitraum soll zwei Jahre betragen, erklärte Christian Heinemann, einer von drei Verteidigern.
Bereut Sanel M. seine Tat?
Aufrichtige Reue ist ein wichtiger Bestandteil für die Bemessung des Strafmaßes. Gleich zu Beginn des Prozesses entschuldigte sich Sanel M. unter Tränen. Die Nebenklage wertete dies als Prozesstaktik. Auch nach den Plädoyers sagte der Angeklagte, der Schlag sei der schlimmste Fehler seines Lebens gewesen. Sein Anwalt Heinz-Jürgen Borowsky erklärte, ihm liege eine schriftliche Entschuldigung an die Familie Tugces vor, die er bislang nicht veröffentlicht habe, weil diese angesichts der „Treibjagd“ einiger Medien ohnehin nur gegen seinen Mandanten ausgelegt worden wäre.
Wie geht Tugces Familie mit der Tat um?
Vater, Mutter und die beiden Brüder leiden nach Tugces Tod schwer unter dem Verlust - den Prozess verfolgten sie sichtlich gezeichnet, vor allem die Mutter weinte immer wieder. Die Eltern sind arbeitsunfähig und in psychologischer Behandlung. Der jüngere Bruder hat sein Studium unterbrochen, der ältere seine Lehre abgebrochen.