„Eine russische Stadt“: Sewastopol schaut nach Moskau
Sewastopol (dpa) - Sewastopol auf der Krim ist seit 230 Jahren stolzer Heimathafen der legendären russischen Schwarzmeerflotte. Wie in einer russischen Stadt fühlen sich die etwa 350 000 Einwohner schon lange.
Nun könnten sie sich schon bald wirklich von der Ukraine abspalten.
Die aufgewühlte Gruppe vor dem Rathaus von Sewastopol ist sich einig. „Wir sind doch ohnehin eine russische Stadt“, meint Rentner Sergej Kabarow erregt. „Nun ist endlich bald offiziell, was wir ohnehin schon lange fühlen.“ In einem Referendum soll die Halbinsel Krim, derzeit als Autonome Republik ein Teil der Ukraine, schon am 16. März über ihre Zukunft entscheiden. Wenn es nach den Menschen in der Hafenstadt Sewastopol geht, ist die Abstimmung bereits entschieden.
„Russland, Russland“, ruft der Chor von etwa 30 meist älteren Männern und Frauen. Auch Galina Sergejewna hat keinen Zweifel, dass schon bald der russische Präsident Wladimir Putin ihr Staatsoberhaupt sein wird und der Rubel ihre Währung. „Putin und Russland haben uns immer unterstützt“, meint die 67-Jährige. Im Heimathafen der legendären Schwarzmeerflotte tragen viele Menschen Schleifen in den russischen Farben am Revers oder auch das orange-gelbe Georgsband, das Zeichen des Sieges über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Und auf vielen Gebäuden flattert die russische Fahne im Wind. Ukrainische Fahnen sind nicht zu sehen.
Vor dem Rathaus halten kräftige Männer in Uniformen der berüchtigten Polizei-Sondereinheit Berkut Wache, die von der neuen Regierung in Kiew nach dem Machtwechsel aufgelöst wurde. Es sind selbsternannte „Selbstverteidigungskräfte“, die mögliche Angriffe von Nationalisten aus Kiew oder der Westukraine abwehren wollen. Gegenüber dem etwas verstaubten Museum der russischen Schwarzmeerflotte ist ein Rekrutierungsbüro eingerichtet. „Du bist Sewastopoler, verteidige Deine Stadt“, steht auf Werbezetteln.
Aber die allermeisten Menschen in der Stadt mit rund 350 000 Einwohnern zweifeln ohnehin daran, dass die Führung um den prowestlichen Regierungschef Arseni Jazenjuk den Lauf der Geschichte noch ändern wird. Die ukrainische Armee hat nach Ansicht von Experten in einem Konflikt keine Chance gegen die russischen Streitkräfte, die aus ihrem vertraglich zugesicherten Stützpunkt in Sewastopol heraus offenbar bereits strategisch wichtige Punkte besetzt haben. In der Stadt selbst sind immer wieder Soldaten der Schwarzmeerflotte zu sehen, dem wichtigsten Arbeitgeber der Region. Reden wollen die Männer aber nicht.
Dafür machen die Einwohner ihrer Wut auf die neue, prowestliche Regierung in Kiew Luft. „Das sind Verbrecher, sie haben die Macht illegal an sich gerissen“, schimpft die Andenkenverkäuferin Jewgenija Koschko. „Derzeit ist die Krim der stabilste Ort der Ukraine“, meint sie. Von ihrem kleinen Kiosk am Hafenbecken aus hat Jewgenija einen perfekten Blick auf die Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte, die die Einfahrt zur Bucht blockieren. „Die sind zu unserem Schutz da“, erzählt die 46-Jährige. „Damit es so ruhig bleibt.“
Kritik aus dem mehr als 800 Kilometer entfernten Kiew, die Krim-Einwohner seien Separatisten, will niemand auf sich sitzen lassen in Sewastopol. „Wir wollen doch nur endlich selbst unsere Anführer wählen, unsere Steuern verwalten“, meint Jewgenija. Bisher entscheidet die Regierung in Kiew über das Stadtoberhaupt. Nun haben die Sewastopoler kurzerhand in einer Straßenabstimmung einen neuen Bürgermeister gewählt.
Vor dem Rathaus hängen zahlreiche Zettel: „Sewastopol ist ein Teil Russlands“, steht dort etwa. Russisch ist Muttersprache der allermeisten Einwohner, ukrainische Wörter prangen nur an staatlichen Gebäuden. Stolz sind die Menschen auf ihre durch und durch russisch geprägte Geschichte. An der Lenin-Straße stehen das Museum der Flotte und das Haus der Offiziere nebeneinander, gegenüber ein Denkmal der deutschstämmigen Zarin Katharina II. Unter der Imperatorin war die Stadt 1783 neugegründet worden. Seither schauten die Einwohner stets nach Moskau. Wenn es nach ihnen geht, wird der Bund mit Russland bald noch viel enger.