Experte im Interview Eltern spielen bei Islamismus-Prävention große Rolle
Hannover (dpa) - Bei der Präventionsstelle gegen islamistische Radikalisierung in Niedersachsen steigt die Zahl der Hinweise auf gefährdete junge Menschen. Junge Frauen wie die IS-Sympathisantin Safia in Hannover machten inzwischen knapp ein Drittel der Fälle aus, sagt der Leiter der Beratungsstelle, Christian Hantel.
Frage: Woran kann man eine islamistische Radikalisierung eines jungen Menschen erkennen, gibt es typische Anzeichen?
Antwort: Typische Anzeichen sind ein sozialer Rückzug und ein abweichendes Verhalten gegenüber anderen. Der Freundeskreis verschwindet, neue Unbekannte tauchen auf. Gerade junge Frauen tauchen parallel zum sozialen Rückzug verstärkt ins Internet ein. Während junge Männer auch die Kleidung verändern oder sich einen Bart wachsen lassen, gibt es bei jungen Frauen äußerlich oft keine Anzeichen.
Frage: Wer ist besonders von einer Radikalisierung betroffen?
Antwort: Die Altersspanne reicht im Wesentlichen von 12 bis 30 Jahren. Die bis 18-Jährigen machen 40 Prozent der Fälle aus, 42 Prozent sind zwischen 19 und 24 Jahre alt. Der Frauenanteil liegt bei 24 bis 28 Prozent. 48 Prozent stammen aus einem nicht-muslimischen Elternhaus und sind somit Konvertiten. 52 Prozent kommen aus einer muslimischen Familie, in der Religion aber oft gar keine Rolle spielt. Hier spricht man von „reborn muslims“ (wiedergeborenen Muslimen), eigentlich also auch Konvertiten. Die Betroffenen stammen aus sämtlichen sozialen Schichten.
Frage: Was können Angehörige und das Umfeld tun, wenn sie eine Radikalisierung befürchten?
Antwort: Wichtig ist, nicht in Panik verfallen. Bei Verhaltensveränderungen, neuen Freunden oder ungewohnten Internet-Aktivitäten professionelle Unterstützung suchen, besser einmal zu viel als zu wenig. Häufig geht es darum, den Kontakt zum Elternhaus zu stabilisieren und die jungen Menschen über ihre Eltern zu erreichen. Auch wenn junge Leute alle Kontakte abreißen, bleibt oft ein Draht zu den Eltern. Selbst bei einer Ausreise nach Syrien geben die Kinder oft eine Rückmeldung.
ZUR PERSON: Der Sozialpädagoge Christian Hantel leitet die Beratungsstelle gegen islamistische Radikalisierung in Niedersachsen. Sie wurde vor knapp zwei Jahren auf Initiative des Sozialministeriums gegründet und wird mit Beteiligung der muslimischen Verbände betrieben.