Zehn-Punkte-Plan Endlich kenntlich? Die Grünen und die Verbindlichkeit
Berlin (dpa) - Cem Özdemir muss erst noch seinen Stuhl höherstellen. „Wir sind noch nicht auf Augenhöhe“, witzelt seine Co-Spitzenkandidatin, Katrin Göring-Eckardt. Die beiden haben einen wichtigen Termin vor sich.
Sie wollen endlich den Vorwurf abschütteln, niemand wisse so genau, wofür die Grünen im Jahr 2017 noch stehen. Ob das mit dem „Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren“ gelingt?
Zunächst ist so ein knackiges „Wahlprogramm light“ sicher keine schlechte Idee in einer Zeit, in der die Wähler sich die Welt am liebsten in Smartphone-tauglichen Formaten erklären lassen. Es soll als Antrag beim Programmparteitag Mitte Juni beschlossen werden und ein „verbindliches Angebot“ an die Wähler sein.
Verbindlich, das sagen Özdemir und Göring-Eckardt sehr oft an diesem Mittwoch in Berlin. Ziehen die Grünen also knapp vier Monate vor der Bundestagswahl schon mal rote Linien für Koalitionsverhandlungen, die sie mit allen außer der AfD nach dem 24. September gerne führen wollen?
Nein, jedenfalls nicht so richtig. „Das sind keine roten Linien, das sind Vorhaben, das sind Ziele“, sagt Göring-Eckardt. „Wer mit uns koalieren will, der muss bereit sein, bei diesen Vorhaben entschieden mit voranzugehen“, so steht es im Plan - das ist butterweich. Stagnieren die Grünen bis zur Wahl bei sechs bis acht Prozent, dann müssen sie beim „entschiedenen Vorangehen“ in Tempo und Ziel wohl flexibel sein.
Problem Nummer zwei: Die Formulierungen. Ökologie, Gerechtigkeit und offene Gesellschaft sind die Themen der Grünen im Wahlkampf, entsprechend umfassen die zehn Punkte Klimaschutz, Elektro-Autos, nachhaltige Landwirtschaft, Europa, Familienförderung, soziale Sicherheit, Integration, Homo-Ehe, Sicherheit und Kampf gegen Fluchtursachen. Aber: Es überwiegen Allgemeinplätze.
Beispiel Kohleausstieg, ein grünes Kernanliegen. Der jüngste Parteitagsbeschluss will ihn bis 2025. Das Wahlprogramm will ihn bis spätestens 2037. Der Zehn-Punkte-Plan will ihn - ohne Datum. Die Parteispitze betont, dass die Zahlen aus dem Wahlprogramm weiter gelten und der Plan ja Teil des Programms werde. Trotzdem dürfte das vielen an der Basis nicht genug sein. Özdemir dazu in sehr entschiedenem Ton: „Das ist unser Entwurf. Und wir schreiben da nur Dinge rein, von denen wir überzeugt sind.“ Das sei nicht ein „Wünsch' dir was“, sondern „durchgeplant“ und „verantwortbar“.
Das klingt wie eine Kampfansage an die traditionell eher linken Parteitags-Delegierten, von denen manche ohnehin damit hadern, dass die Parteibasis zwei Kandidaten vom realpolitischen Flügel an die Spitze gewählt hat. Es fällt auf, dass im Plan manches aus dem Wahlprogramm fehlt, was anderen Parteien weh tun würde. Die Vermögensteuer zum Beispiel, oder die Forderung, ab 2030 nur noch abgasfreie Autos zu produzieren.
An einigen Stellen wird es konkreter. Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung in spätestens 20 Jahren. Haltungskennzeichnung für Fleisch. Die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke „sofort“ abschalten. Ein deutscher Pass für in Deutschland geborene Kinder. Keine weitere Asylrechtsverschärfung, keine Abschiebung in Krisengebiete. Da werden die Grünen erkennbar. Nur: rote Linien sind das ja nicht.
Etwas aus Grünen-Sicht Wichtiges ist Göring-Eckardt und Özdemir aber gelungen. Unter dem Antrag stehen 20 Namen, darunter die Prominenz vom linken und vom Realoflügel. Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg und sein Berliner Lieblingsgegner Jürgen Trittin. Anton Hofreiter, Simone Peter, Robert Habeck, Claudia Roth und viele mehr. Ein Zeichen der Geschlossenheit, während die Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP in Schleswig-Holstein für Unruhe sorgen. Man könne sich ja vorstellen, sagt Göring-Eckardt, dass die demonstrative Einigung „für uns ein sehr positives Signal ist“.