Eschede-Witwer rät zu Zusammenhalt nach Zug-Katastrophe
Hannover/Vilshofen (dpa) - Das Zugunglück in Spanien weckt bei den Hinterbliebenen der ICE-Katastrophe von Eschede schreckliche Erinnerungen. Am 3. Juni 1998 starben dort 101 Menschen, als der ICE 884 entgleiste und einen Brückenpfeiler rammte.
Heinrich Löwen aus Vilshofen in Bayern verlor damals Frau und Tochter. Drei Wochen danach gründete er eine Selbsthilfegruppe der Hinterbliebenen.
Frage: Wie wirkt ein Unglück wie das von Eschede über die Jahre bei den Hinterbliebenen nach?
Antwort: Das ist individuell sicher unterschiedlich. Aber irgendwie gehen die Gedanken an so ein Geschehen nie völlig unter, sondern sind immer irgendwo, schlummern irgendwo und werden bei solchen Anlässen wieder an die Oberfläche kommen.
Frage: Was erwartet die Angehörigen nach einer solchen Katastrophe?
Antwort: Da muss man sicher unterscheiden zwischen der Zeit unmittelbar nach dem Unfallgeschehen und dann dem weiteren Verlauf. Da ist zunächst die Unsicherheit. Bei dem Ausmaß des Unglücks in Spanien kann ich mir vorstellen, dass wie damals nach Eschede viele Angehörige noch gar nicht wissen, was ihren Leuten geschehen ist. Wer ist verletzt worden? Wer ist getötet worden? Wenn sich diese Dinge geklärt haben, müssen die Menschen damit fertig werden. Da stellen sich elementare Fragen: Wie geht es jetzt weiter? Wie schaut es aus, wenn ein Familienvater ums Leben kommt, der den Unterhalt bestreitet? Wie ist es, wenn die Mutter weggefallen ist, ein Kind dahingerafft wurde oder gar mehrere Angehörige einer Familie?
Frage: Was raten Sie den Hinterbliebenen der Opfer in Spanien?
Antwort: Wichtig ist, dass die Menschen sich nicht vereinzeln, sondern sich gegenseitig vertrauensvoll unterstützen und auch gemeinsam ihre Interessen vertreten. Dritte tun sich schwer damit, das Leid nachzuvollziehen. Eine rückhaltlose Aufklärung muss selbstverständlich sein. Sicherheit muss im Bahnverkehr oberste Priorität und Vorrang vor Wirtschaftlichkeit und Tempo haben. Dieses Prinzip „schneller, höher, weiter und immer noch eins drauf“ schafft keine zufriedeneren Menschen. Ein bisschen auf die Bremse zu treten wäre da sinnvoll.
Frage: Was müssen staatliche Stellen oder die Bahn leisten?
Antwort: Zunächst muss dafür gesorgt werden, dass es keine bürokratischen Hemmnisse gibt. Schnelle wirtschaftliche und organisatorische Unterstützung müssen geleistet werden. Wichtig ist, dass man mit den Betroffenen einfühlsam, fair und großzügig umgeht und Verantwortung übernimmt. Die Betroffenen müssen wirtschaftlich ohne weitere Einschränkung so gestellt werden, wie es vor dem Unglück war. Sie dürfen nicht ein weiteres Mal geschädigt werden. Das war nicht immer einfach, 1998 und danach. Wenn Verantwortung übernommen wird, so schafft das langfristig ein Gefühl der Genugtuung und Befriedigung, wenn die Angehörigen erst wieder Fuß gefasst haben. Sonst können Groll und langfristige Verbitterung aufkommen.
Frage: Wie sollen sich Freunde und Bekannte verhalten?
Antwort: Im Grundsatz kann man sagen, dass sie einfach da sein sollen, um einen Rückhalt zu bilden. Das ist in der frühen Phase das Wichtigste. Das muss nicht unbedingt mit großen Reden oder Gesten passieren, das führt dann nicht weiter. Auch praktische Hilfe im Alltag ist wichtig. Manches müssen sie einfach mitaushalten.