Experten: Beben erschüttert Wirtschaft nur kurz
Frankfurt/Main (dpa) - Das schwerste Beben der japanischen Geschichte hat die Wirtschaft in Teilen des Landes am Montag zum Erliegen gebracht. Zahlreiche Unternehmen stoppten die Produktion, darunter die Autobauer Toyota, Honda und Mitsubishi.
Viele Fabriken wurden zerstört und der Strom fiel aus. Etwa beim Kamerahersteller Canon wurden einige Werke so schwer beschädigt, dass die Produktion möglicherweise einen Monat oder länger ausgesetzt werden muss.
Der Nikkei-225-Index in Tokio erlebte den größten Kursrutsch seit Oktober 2008, und Japans Notenbank reagierte prompt: Um das Finanzsystem zu stützen, pumpt sie rund 130 Milliarden Euro in das heimische Bankensystem.
So schrecklich die Nachrichten aus Japan auch sind: Ökonomen in Europa mahnen zur Gelassenheit. Japans Wirtschaft werde noch in diesem Jahr zurück in die Spur kommen, die Folgen der Katastrophen auf die Wirtschaftsleistung würden durch den Wiederaufbau noch in diesem Jahr kompensiert, sagte Unicredit-Volkswirt Andreas Rees.
Risiken für Deutschland und die Weltwirtschaft sehen Ökonomen derzeit nicht - selbst ein atomarer Super-GAU würde die Welt nicht erneut in eine tiefe Rezession stürzen, ist Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater sicher: „Wenn ein großes Ballungsgebiet wie Tokio verstrahlt wird, dann haben wir es mit einer Situation ohne Beispiel zu tun. Aber Japan stellt trotz allem eine recht geschlossene Wirtschaft dar. Japan ist immer sehr für sich geblieben, alle wirtschaftlichen Effekte werden deshalb hauptsächlich in Japan abgefedert.“
Auch nach Überzeugung von Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel ist die Weltwirtschaft robust genug, die ökonomischen Folgen der Naturkatastrophe zu schultern. Selbst wenn der schlimmste Fall eintreten sollte und der Großraum Tokio infolge einer Kernschmelze in Atomkraftwerken evakuiert werden müsste, halte er eine neue weltweite Krise für ausgeschlossen, sagte Bargel am Montag der Nachrichtenagentur dpa: „Das würde nicht zu einem weltweiten Abschwung führen oder gar zu einer globalen Rezession.“
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft als moderat ein. Deutschland exportiere nur ein Prozent seiner Güter nach Japan, die Importe machten etwa drei Prozent aus. Allerdings werde die japanische Industrieproduktion für unabsehbare Zeit beeinträchtigt sein, erklärte das arbeitgebernahe Institut. Dies gelte wahrscheinlich auch für Unternehmen außerhalb der Katastrophenregion. Denn diese hätten mit ausbleibenden Zulieferungen und Energieengpässen zu kämpfen.
Eine mögliche Kernschmelze in japanischen Atomkraftwerken würde die Lage in dem Inselstaat dramatisch zuspitzen, weil der Großraum Tokio fast 20 Prozent der japanischen Wirtschaftsleistung erbringt, sagte Bargel: „Das würde zu immensen Produktionsausfällen führen mit entsprechenden Folgen für Beschäftigung und Produktion - eine Dimension, die wir uns bisher kaum vorstellen können.“ Diese Effekte seien aber schnell zu kompensieren, wenn die Gebiete nicht durch Verstrahlung unbewohnbar werden.
Wirtschaftlich treffen Beben und Tsunami die Versicherungsbranche mit Schäden in voraussichtlich zweistelliger Milliardenhöhe besonders hart - nach Einschätzung der Ratingagentur Moody's vor allem die weltgrößten Rückversicherer. Am Montag setzten die Aktien von Munich Re, Swiss Re oder Hannover Rück ihren Sturzflug vom Freitag fort. Die Credit Suisse sieht einen volkswirtschaftlichen Schaden von umgerechnet bis zu 132 Milliarden Euro. Die Unfälle in den Atomkraftwerken fürchten die Versicherer dabei nicht: Sie müssen dafür kaum geradestehen.
Mit einer langfristigen Eintrübung der Stimmung bei Verbrauchern und Unternehmen in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt rechnet Bargel aufgrund früherer Beobachtungen nicht: „Erfahrungsgemäß ist es so, dass wenn das Ausmaß der Katastrophen bekannt ist und weitere Gefahren gebannt sind wie jetzt im Falle der Atomkraftwerke, auch die Stimmung sehr schnell wieder umschlägt und die Menschen anpacken und es wieder bergauf geht.“
An der Tokioter Börse lösten Panikverkäufe am Montag einen Kurssturz von mehr als 6 Prozent aus. Versicherer, Energieversorger und Eisenbahntitel erlitten hohe Kursverluste. Die Autobauer Toyota und Honda, die Produktionsbänder stoppen mussten, fielen drastisch.
Hingegen reagierten Europas Börsen eher gelassen, von Panik keine Spur. Zwischenzeitlich schafften einige europäische Indizes sogar den Sprung ins Plus, rutschten dann aber wieder moderat ins Minus. In Europa verbuchte der deutsche Dax unter den führenden Indizes die größten Verluste. Die Börsen in China, Hongkong und Südkorea legten sogar zu.
Der Stillstand in Teilen der japanischen Industrie ließ am Montag die Ölpreise purzeln. „Da Japan der drittgrößte Ölimporteur der Welt ist, fällt Nachfrage aus“, erklärte Rees. Mittelfristig werde der Ölpreis durch den Japan-Effekt jedoch eher ansteigen: „Zum einen sind dann die Raffinerien wieder einsatzfähig. Zum anderen könnte die Energieerzeugung durch Öl steigen, da möglicherweise anhaltend weniger Atomstrom produziert wird.“