Mission übererfüllt FDP-Chef Lindner setzt zum Comeback im Bund an
Düsseldorf (dpa) - Mehrere hundert FDP-Anhänger kommen aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus. Die erste Begeisterungswelle rollt bei der FDP-Wahlparty im Düsseldorfer Medienhafen bereits sechs Minuten vor Schließung der Wahllokale.
Die Popularitätswerte der Spitzenleute bei der NRW-Landtagswahl zeigen laut ARD - FDP-Chef Christian Lindner vor Hannelore Kraft (SPD) und Armin Laschet (CDU).
Um 18.00 Uhr jubeln die Liberalen erneut, als Prognosen die FDP bei 12 Prozent sehen. „Oh, wie ist das schön“-Sprechchöre ertönen. „So was hat man lange nicht gesehen.“ Zwölf Minuten später kommt die FDP laut erster Hochrechnung auf 12,2 Prozent. Es wäre ihr Rekordergebnis in Nordrhein-Westfalen, nach 12,1 von 1950.
Fünf Minuten später steigert sich der Jubel, als der Superstar der Liberalen sein Bad in der Menge nimmt. „Wer hätte diesen Abend im Herbst 2013 für möglich gehalten“, ruft Lindner (38) seinen Anhängern zu. Besonders bei jüngeren Wählern hat er einen Nerv getroffen, das war im Wahlkampf überall zu spüren: Nicht mit weichgespülten Floskeln, sondern mit auch mal polemischen politischen Attacken.
Lindners Angriffslust spiegelte sich auch in der Wahlkampfkampagne wider: Den Standardplakaten setzte er ein kontrastreiches Schwarz-Weiß entgegen und einen lässig unrasierten Spitzenkandidaten ohne Krawatte. Dazu kam eine Social-Media-Kampagne, die ihm buchstäblich Herzen und „Likes“ zufliegen ließ.
So fand Lindners größte Wahlkundgebung wohl auf seinem Privatbalkon statt, wie er selbst vermutet - als er sich, schon sichtlich erschöpft nach einem harten Wahlkampftag, auf Facebook noch einmal live zuschaltete. 3700 Leute sahen dies im Netz direkt, am nächsten Tag 150 000.
Lindner hat sich zum eigentlichen Oppositionsführer in NRW und zum beliebten Landespolitiker entwickelt. Er ist der triumphale Gewinner - aber auch einer auf dem Absprung. Dass er nicht in Düsseldorf bleiben will, sondern in den Bundestag, falls es im September dafür reicht, haben ihm die Wähler nicht übelgenommen.
Nachdem die FDP 2013 aus dem Bundestag geflogen war, hatten viele ihr die Totenglocken geläutet. Lindner aber übernahm dennoch das Ruder. Mit „Kommando Attacke“ und Rundumschlägen auch gegen den potenziellen Koalitionspartner CDU gelang die Wende. „Ob Herr oder Frau Stillstand eine GroKo (große Koalition) anführt, ändert das Tempo ja nicht“, ätzte Lindner und watschte damit sowohl Kraft als auch ihren Herausforderer Laschet ab.
Mit seiner Ein-Mann-Show hat er die Landtagswahl als Steilvorlage für eine Rückkehr in den Bundestag genutzt. Für die Liberalen ist die Rechnung aufgegangen. Jetzt rollt der Lindner-Zug - das politische FDP-Wunderkind aus Wermelskirchen lässt den Buchhändler Martin Schulz aus Würselen an diesem Wahlabend alt aussehen.
Ein Land im Dauerstau (dem Porsche-Fan Lindner ein Graus), marode Schulgebäude, magere Wirtschaftswerte: Die Stillstands-Rhetorik der FDP traf den Nerv vieler NRW-Bürger. Dass Schulgebäude Sache der Kommunen sind und die rot-grüne Landesregierung für ihre Sanierung gerade zwei Milliarden Euro zugeschossen hat - darauf kam es am Ende nicht mehr an.
Vergessen auch die Zeiten, als die FDP bis 2010 in NRW fünf Jahre mitregierte und danach mit bescheidenen Ergebnissen abgewählt wurde. „Die Menschen wollen ein Comeback der Freien Demokraten in Berlin“, sagt Lindner. Aus dem Wahlergebnis wachse die Verantwortung, „genauso weiterzumachen“. Das klingt nicht so, als wollte er in den kommenden Monaten Koalitionsverhandlungen in Düsseldorf führen.