„Politische Ermordung“ Fillon und die Richter: Wahlkampf gegen die Justiz
Paris (dpa) - Manche französischen Journalisten glauben zunächst an einen Scherz, als sie die knappe Mitteilung auf ihren Handys sehen.
Obwohl die Kameras schon parat stehen, verschiebt der konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon völlig überraschend seinen Besuch auf der Pariser Landwirtschaftsmesse, in Frankreich ein Pflichttermin für Wahlkämpfer. Nach Stunden wilder Spekulationen wird am Mittwoch klar: Die Affäre um die Beschäftigung seiner Frau auf Parlamentskosten hat den Konservativen wieder einmal eingeholt.
Was Fillon mit empörter Miene dann in seinem Wahlkampfhauptquartier verkündet, ist ein neuer Donnerschlag. Am 15. März hat der Konservative einen Termin bei den Ermittlungsrichtern. Sie wollen ein Verfahren gegen ihn einleiten. Somit würde Fillon offiziell zum Beschuldigten erklärt - fünfeinhalb Wochen vor dem ersten Wahlgang.
Die Justiz hat damit endgültig klargemacht, dass sie den Verdacht ernst nimmt, den die Zeitung „Le Canard Enchaîné“ Ende Januar aufgebracht hatte: Dass es sich bei der jahrelangen Anstellung von Fillons Frau als parlamentarische Mitarbeiterin um eine Scheinbeschäftigung gehandelt haben könnte. Und die Ermittler denken gar nicht daran, im Wahlkampf auf die Bremse zu treten.
Das bekommt nicht nur der einst als klarer Favorit gehandelte Fillon zu spüren, auch die Rechtspopulistin Marine Le Pen hat Ärger mit der Justiz. Auch dabei geht es um den Verdacht illegaler Arbeitsverträge, in ihrem Fall bei der Beschäftigung von Assistenten im EU-Parlament. Die Justiz ist damit plötzlich selbst ins Scheinwerferlicht des französischen Wahlkampfes geraten. Denn sowohl Fillon als auch Le Pen werfen den Ermittlern vor, politisch gesteuert zu sein.
„Viele meiner politischen Freunde sprechen von einer politischen Ermordung“, schimpft Fillon. Der Generalsekretär der konservativen Republikaner-Partei, Bernard Accoyer, kritisierte im „Figaro“: „Wir haben es mit einer nie dagewesenen Einmischung der Justiz und der nationalen Finanz-Staatsanwaltschaft in einen Präsidentschaftswahlkampf zu tun.“ Die Strategie ist klar: Die Ermittlungen sollen als politisches Manöver und damit irrelevant abgetan werden.
Bei der sozialistischen Regierung sorgt das für Empörung: „Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein Prinzip mit Verfassungswert“, erklärt Justizminister Jean-Jacques Urvoas. Präsident François Hollande warnt vor einem „Klima des Misstrauens“.
Fillon wehrt sich seit Wochen mit immer schärferen Worten gegen die Ermittlungen, sprach mal von einem „institutionellen Staatsstreich“, mal von „Verleumdung“. Das mag auch dazu beigetragen haben, sein eigenes Lager zusammenzuhalten. Sein stockender Wahlkampf hat dadurch aber keinen neuen Schwung gewonnen, schon seit den ersten Enthüllungen über die lukrative Anstellung seiner Frau kann von einer normalen Kampagne keine Rede mehr sein.
Die Zeitung „Le Monde“ spricht vom „eingebunkerten Kandidaten“. Fillons Wahlkampf-Auftritte würden extrem kontrolliert, es gebe keine spontanen Treffen mit der Bevölkerung mehr. „Der Handlungsspielraum ist begrenzt, denn wir haben die Sorge, dass der Kandidat von Gegnern auf Penelope angesprochen wird“, zitiert das Blatt ein Mitglied seines Teams. Schwierig, da mit seinen Themen durchzukommen. Bei vielen Wahlkampfauftritten wird Fillon von einer kleinen Gruppe Demonstranten begrüßt, die auf Kochtöpfe schlagen.
Profitieren könnte der unabhängige Bewerber Emmanuel Macron, der in den vergangenen Tagen einen kleinen Vorsprung vor Fillon herausgearbeitet hat und nach Umfragen derzeit in die Stichwahl gegen Le Pen käme - um diese dann deutlich zu gewinnen. „Herr Fillon hat entschieden, große Worte zu benutzen. Das ist eher das Zeichen, dass er die Nerven oder den Realitätssinn verliert“, frotzelt er nun.
Aber auch im eigenen Lager könnte Fillon mit seinen Durchhalteparolen an Grenzen geraten. Der Abgeordnete Bruno Le Maire legt am Mittwoch aus Protest seine Aufgaben in Fillons Wahlkampf-Team nieder - weil Fillon nun auch im Fall eines Verfahrens gegen ihn weitermachen will. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe Ende Januar hatte er noch gesagt, in einem solchen Fall auf seine Kandidatur verzichten zu wollen.
Am Mittwochnachmittag holt Fillon den Besuch auf der Landwirtschaftsmesse demonstrativ nach. Die Botschaft ist klar: Der Wahlkampf geht trotz aller Scherereien weiter. Doch die Luft wird zunehmend dünn für den Ex-Premierminister.