Forscher: Fremdenangst spielt große Rolle in Asyldebatten
Leipzig (dpa) - Geht es um die Flüchtlingskrise, ist immer wieder von Ängsten und Sorgen die Rede. Psychologen kennen die Xenophobie, die Angst vor dem Fremden.
Das Leipziger Schauspiel will in einer Expertenrunde am Abend diese Angst beleuchten und hat dafür den Angstforscher Prof. Borwin Bandelow aus Göttingen eingeladen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt Bandelow, woher die Fremdenangst kommt, was man gegen sie tun kann - und warum Populisten sie politisch nutzen können.
Frage: Was ist Xenophobie?
Antwort: Eine Phobie ist eine übertriebene, unangemessene Angst, in diesem Fall vor Fremden. Erklären lässt es sich vielleicht an der Spinnenphobie: Das ist eine Furcht, die heute in Deutschland nicht mehr nötig ist, denn es gibt hier keine Spinne mehr, die beißt, sticht oder kratzt. Früher war die Angst notwendig, weil Leute noch an Spinnenbissen starben. Wer gebissen wurde, starb und hatte keine Nachkommen. Weil solche Ängste eben auch auf dem Erbwege verbreitet werden, haben wir sie heute noch, obwohl wir sie nicht mehr brauchen. So ähnlich ist das mit der Fremdenangst auch.
Frage: Und früher war sie nützlich?
Antwort: Früher sind wir als Höhlenbewohner in Stämmen organisiert durch die Wälder gezogen. Die Nahrungsmittel waren zu knapp, um für alle zu reichen. Entwicklungsgeschichtlich war es wohl ein Überlebensvorteil, sich zusammenzurotten, den eigenen Stamm zu verteidigen und Mitglieder anderer Stämme zu erschlagen. Auch wenn das heute keinen Vorteil mehr darstellt, werden wir eben mit der überflüssigen Xenophobie, dieser alten Abwehrhaltung, geboren.
Frage: Was bewirkt diese Aktivierung?
Antwort: Ein großes Problem der überlieferten Urängste ist, dass sie in einem primitiven Teil des Gehirns entstehen, das keinen Hochschulabschluss hat. Sie lassen sich nur schwer durch die intelligenteren Teile des Gehirns steuern. Das macht es so gefährlich.
Frage: Welche Rolle spielt Fremdenangst in der aktuellen Asyldiskussion?
Antwort: Ich glaube tatsächlich, dass die Xenophobie dazu führt, dass ein Großteil der Bevölkerung übergroße Ängste vor dem hat, was auf uns zukommt. Die eher vernunftgesteuerten Menschen betonen die ökonomischen und demographischen Vorteile, wenn junge und arbeitsfähige Menschen in das alternde Deutschland einwandern. Aber das verhallt bei den ängstlicheren Menschen, weil das primitive Angstsystem auf solche Überlegungen überhaupt nicht reagiert.
Frage: Und was empfehlen Sie dagegen?
Antwort: Wenn ich eine Angsttherapie mache, wird immer empfohlen, sich mit der Angst auseinanderzusetzen. Wer Angst vor Hunden hat, muss mit Hunden spazieren gehen. Wer Angst vor Fahrstühlen hat, muss Fahrstuhl fahren. Nach hundert Versuchen ist klar: Es passiert nichts. Genauso ist das, wenn man mehr Kontakt mit Fremden hat. Das erklärt, warum in Gebieten mit besonders wenigen Ausländern die Angst vor ihnen größer ist. Die Antwort ist also Begegnung, um Vorbehalte abzubauen.
Frage: Stimmt der Vorwurf, dass Gruppen wie Pegida und Parteien wie die AfD Fremdenangst bewusst für ihre Zwecke nutzen?
Antwort: Gerade die AfD schreibt sich das auf ihre Fahne. Die Xenophobie wird von den Demagogen schamlos ausgenutzt. Die Rechtsnationalen freuen sich diebisch, dass das Flüchtlingsthema jetzt wieder akut ist, weil es ihnen tatsächlich Zulauf bringt. Es entsteht eine politische Bewegung, in der nicht mehr nur überzeugte Neonazis, sondern auch nicht-radikale Menschen mitmachen. Das zeigt ja auch Pegida. Dabei überlagern sich die irrationalen Fremdenängste mit berechtigten Sorgen, die man den Leuten nicht so einfach nehmen kann, weil in der jetzigen Situation niemand weiß, was passieren wird.
ZUR PERSON: Der Psychologe Prof. Borwin Bandelow gilt als einer der weltweit führenden Angstforscher. Er arbeitet als stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen. Bandelow schrieb zudem zahlreiche Bücher, etwa über Flugangst oder einen Ratgeber für Schüchterne. Zuletzt erschien von ihm „Wer hat Angst vor dem bösen Mann? Warum uns Täter faszinieren“ im Rowohlt-Verlag.