Fragen & Antworten: Droht ein neuer Linksterrorismus?
Berlin (dpa) - An Bahnanlagen in Berlin und Umgebung werden immer mehr Brandsätze entdeckt. Reisende und Pendler leiden unter Zugausfällen und erheblichen Verspätungen. Niemand kann sagen, ob alle Brandsätze gefunden sind.
Gibt es mittlerweile einen neuen Linksterrorismus in Deutschland? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den bisherigen Funden:
Wo wurden die Brandsätze entdeckt?
Offensichtlich haben die Täter sich entscheidende Punkte im Berliner Bahnnetz ausgesucht, um den Verkehr möglichst umfassend lahmzulegen. Zum Beispiel wurden mit den in Brandenburg und im Westen Berlins entdeckten Brandsätzen zwei der drei ICE-Strecken blockiert - die nach Hamburg und die nach Hannover. Bis Mittwochnachmittag wurden mindestens 14 entdeckt.
Wie waren die Brandsätze aufgebaut?
Meist waren es Plastikflaschen, die mit Benzin gefüllt und mit Zeitzündern verbunden waren. Sie wurden in Kabelschächten deponiert und richteten sich gegen Kabelstränge und Leitungen der Bahn, mit denen Weichen und Signale gesteuert werden. Laut Ermittlern sind solche Anschläge nur nach umfangreicher Vorbereitung möglich. Dass nach bisheriger Kenntnis nur zwei Brandsätze zündeten, wird vor allem auf das feuchte Wetter am Montag und Dienstag zurückgeführt.
Wer hat die Brandsätze gelegt?
Bislang gibt es nach offiziellen Angaben keine heiße Spur. Im Internet bekannte sich eine antimilitaristische Gruppe dazu, die bislang offenbar nicht in Erscheinung trat. Die Berliner Ermittler gehen von anderen Tätern aus als bei den Autobrandstiftern.
Waren Menschen in Gefahr?
Die Bahn und Fahrgastvertreter sehen keine Gefahr. Werden die Signalleitungen gekappt, schalten demnach alle Signale der Strecke auf Rot. Züge müssen stoppen. Nur die Mitarbeiter in der Sicherheitszentrale der Bahn können die Strecke wieder freigeben. Der Braunschweiger Professor Jörn Pachl hält jedoch auch größere Brände und Unfälle für möglich, wenn ein Kabelbrand auch die Systemsicherung beschädigt.
Gibt es einen neuen Linksterrorismus in Deutschland?
Das CSU-geführte Bundesinnenministerium bewertet die linksextremistischen Strukturen in Deutschland bislang nicht als terroristisch. Es stützt sich auf das Strafgesetzbuch und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). Der BGH entschied im November 2007, dass politisch motivierte Brandschläge nur bei einer erheblichen Gefährdung des Staates als Terrorismus zu bewerten sind. Demnach ist der Terrorismusparagraf im Strafgesetzbuch nur noch anwendbar, wenn die Taten staatsgefährdende Ziele verfolgen und einen Staat erheblich schädigen können. Im konkreten Fall ging es damals um die „militante gruppe“ (mg), die seitdem nicht als terroristische, sondern nur noch als kriminelle Vereinigung eingestuft werden darf.
Aber so mancher redet doch von Linksterrorismus, oder?
Ja, wenn es nicht um die Auslegung der Rechtslage geht, sind die Bewertungen zum Teil schärfer. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sprach von „verbrecherischen terroristischen Anschlägen“. Und Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) erklärte, der Linksextremismus eskaliere zum Linksterrorismus. Der Protestforscher Simon Teune hatte aber schon Dienstag erklärt, dass er solche Bewertungen für übertrieben hält. Der Gruppe, die die Anschläge verübe, gehe es schließlich primär um Sachbeschädigung - auch wenn die Gefährdung von Menschenleben nicht ausgeschlossen werden kann.
Aber die Bundesanwaltschaft hat sich doch eingeschaltet. Spricht das nicht für eine neue Dimension?
Ja, die Bundesanwaltschaft ermittelt - wegen „verfassungsfeindlicher Sabotage“, also nicht wegen terroristischer Aktivitäten. Die Bundesanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen, weil sie nach Angaben eines Sprechers von einer besonderen Bedeutung der Fälle ausgeht. Und diese liege im Ausmaß und der Anzahl der Anschläge - insofern könnte man hier vielleicht schon von einer neuen Stufe sprechen.