Fragen & Antworten: „Englische Verhältnisse“ in Deutschland?

Berlin (dpa) - Nach den schweren Ausschreitungen in britischen Städten in den vergangenen Tagen fragen sich viele Deutsche, ob es auch in der Bundesrepublik zu ähnlichen Krawallen kommen kann. Die Antwort von Politikern und Experten fällt nicht ganz eindeutig aus.

Werden die Krawalle demnächst auch auf Deutschland übergreifen?

Politiker und Experten sind sich einig, dass in nächster Zukunft eine Eskalation wie in England unwahrscheinlich ist. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zufolge sind in Deutschland die gesellschaftlichen Spannungen nicht so ausgeprägt wie in England und anderen europäischen Ländern. Außerdem hat Deutschland kein so großes Problem mit organisierter Bandenkriminalität wie Großbritannien. In Frankreich kam es vor allem in den Pariser Vorstädten immer wieder zu Ausschreitungen - extreme soziale Brennpunkte wie die „Banlieus“ gibt es hierzulande nicht. Allerdings mehren sich warnende Stimmen, die sagen, dass die Lage sich auch in Deutschland schnell ändern könnte.

Unter welchen Umständen könnte es zu Unruhen kommen?

Grundsätzlich ist natürlich auch in Deutschland sozialer Sprengstoff vorhanden. Ausschreitungen bei Fußballspielen haben außerdem gezeigt, dass es gewaltbereite Jugendliche gibt. Nach Ansicht des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, werden die sozialen Risse in der Gesellschaft derzeit mit viel Geld „zugekleistert“. Geriete Deutschland in eine wirtschaftliche Krise und müsste einen Sparkurs wie in den Krisenländern fahren, könnten Konflikte sehr schnell auch in Gewalttätigkeiten münden.

Ist der hohe Ausländeranteil verantwortlich für die Krawalle?

Fast jeder dritte Londoner hat ausländische Wurzeln. Die Vielfalt der britischen Hauptstadt hängt mit der langen Kolonialgeschichte des Landes zusammen, in den allermeisten Fällen leben die Ethnien friedlich zusammen. Allerdings gehören viele Ausländer zu den Ärmsten in England. Die Londoner Stadtviertel, in denen die Gewalt zuerst eskalierte - Tottenham und Brixton - haben zwar einen sehr hohen Migrantenanteil - es randalieren aber nicht nur Ausländer. Wer die Ausschreitungen nur auf Integrationsprobleme zurückführt, macht es sich also zu einfach.

Wäre die deutsche Polizei besser vorbereitet?

Da gehen die Ansichten innerhalb der Polizei auseinander: Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, glaubt, die deutsche Polizei sei „gut aufgestellt“, falls es zu Unruhen kommen sollte. Er beruft sich auf Einsätze bei Fußballspielen und Mai-Krawallen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wendt, sieht dagegen „die Polizei durch das konsequente Kaputtsparen in den letzten 10, 20 Jahren an den Rand der Handlungsfähigkeit geführt“.

Wie kann Deutschland „englischen Zuständen“ vorbeugen?

Experten halten es für sinnvoll, Polizei und Justiz auf eventuelle Ausschreitungen vorzubereiten, so dass im Zweifelsfall schnell und konsequent gehandelt werden kann. Der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten, Bernd Carstensen, fordert eine europäische Zentralstelle zur Bekämpfung von Jugendkriminalität, damit die Staaten enger zusammenarbeiten. Es ist allerdings fraglich, ob mehr Polizisten und strengere Gesetze ausreichen. Carstensen hält weitreichende Änderungen in der Bildungs-, Sozial-, Familien- und Integrationspolitik ebenfalls für notwendig.