Fragen und Antworten: Was wollen die Europäer von Erdogan?

Brüssel (dpa) - Jeden Monat kommen allein in Griechenland Tausende Flüchtlinge an. Die EU befürchtet, dass die Mitgliedstaaten bald mit der Aufnahme der Menschen überfordert sein könnten. Deshalb lautet jetzt die Devise: Es dürfen erst gar nicht mehr so viele Flüchtlinge Europa erreichen.

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Die Balkanroute ist geschlossen, das ist die Botschaft aus Brüssel. Dabei soll die Türkei helfen.

Warum ist gerade die Türkei ein so wichtiger Partner?

Die meisten Flüchtlinge kommen über die Türkei nach Europa. Sie setzen von der türkischen Westküste mit einem Boot auf eine der nur wenige Kilometer entfernt liegenden griechischen Ägäisinseln über und betreten dort das erste Mal die EU. 2015 zählte die europäische Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland 880 000 irreguläre Einreisen. Im Januar 2016 sank die Zahl der Ankünfte im Vergleich zu Dezember zwar um 40 Prozent. Das lag aber wohl vor allem am schlechten Wetter.

Was soll die Türkei nun tun?

Ihre Seegrenze zu Griechenland besser schützen - das heißt, sie soll Flüchtlinge daran hindern, das Land in Richtung EU zu verlassen. Da die Flüchtlinge bei der Überfahrt von Schleppern unterstützt werden, soll die Türkei außerdem wirksamer gegen diese vorgehen. Dafür will die EU auch, dass das Land den Einsatz von Nato-Schiffen in der Ägäis akzeptiert. Von diesen aus sollen die Aktivitäten der Schlepper beobachtet werden.

Ist das alles?

Nein. Die Türkei soll auch Flüchtlinge aus Griechenland wieder zurücknehmen, die keinen internationalen Schutz genießen. „Das hat Priorität“, bekräftigte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag in Athen. Vergangene Woche nahm die Türkei erstmals seit langer Zeit Migranten aus dem Nachbarland zurück. Insgesamt wurden laut der griechischen Regierung 267 Menschen aus Marokko, Algerien und Tunesien zurückgeschickt, die sich geweigert hatten, in Griechenland Asyl zu beantragen. Das sei ein gutes Zeichen, sagte Tusk.

Abgesehen vom Grenzschutz - gibt es noch andere Wege, die Menschen von einer Weiterreise in die EU abzuhalten?

Die EU hofft das. Die Regierung in Ankara soll die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der Türkei verbessern - etwa durch eine Gesundheitsversorgung und Bildungschancen für Flüchtlingskinder. Die EU-Staaten wollen Ankara dafür drei Milliarden Euro geben. Die ersten 95 Millionen Euro sind mittlerweile für Hilfsprojekte eingeplant. Außerdem erlaubt die Türkei Flüchtlingen seit Mitte Januar, unter bestimmten Voraussetzungen zu arbeiten. Das generelle Arbeitsverbot galt als ein Grund dafür, dass viele Syrer in die EU weiterzogen.

Kann die EU von der Türkei wirklich erwarten, dass sie noch mehr Flüchtlinge aufnimmt?

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben bereits 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei - und es werden monatlich mehr. Hinzu kommen Menschen aus anderen Ländern. Auch die Türkei wird ihr Limit bald erreicht haben. Am Ende wird es daher eher darum gehen, dass Ankara der EU Zeit verschafft. Die Türkei soll den Flüchtlingsandrang solange aufhalten, bis die Europäer eine Lösung gefunden haben, wie sie Flüchtlinge geregelt aufnehmen und in der EU verteilen können. Ein Anreiz für die Türkei mitzumachen, sind politische Zugeständnisse: Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und den EU-Beitritt werden beschleunigt.

Knüpft die EU die Vereinbarung auch an Erwartungen im Kurdenkonflikt?

Offiziell nicht, und daran gibt es Kritik. Immerhin geht die Türkei seit Dezember in einer Großoffensive gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK im Südosten des Landes vor. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft etwa Deutschland vor, zu „willkürlichen Tötung von Zivilisten und unverhältnismäßigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei“ zu schweigen.

Kann das die Vereinbarung gefährden?

Da ein Teil des zugesagten Geldes aus dem EU-Haushalt stammt, müssen die Europaparlamentarier zustimmen. Sie warnen davor, die Themen Menschenrechte und Kurden-Konflikt zu vernachlässigen. „Es kann keinen Gipfel mit der Türkei geben, bei dem über so etwas nicht geredet wird, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen“, sagt etwa der stellvertretende Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Knut Fleckenstein. Die großen Fraktionen im Parlament hätten nichts gegen den Deal mit der Türkei. Es dürfe aber nicht damit angefangen werden, Werte mit zu verkaufen.