Österreich-Wahl „Ganz Europa fällt ein Stein vom Herzen“
Brüssel/Berlin (dpa) - Vor dem Wahltag kursierten schon die Untergangsszenarien. Was soll aus Europa werden, wenn ringsum Populisten Breitseiten gegen Brüssel feuern?
Doch am Ende besiegte bei der Präsidentenwahl in Österreich der EU-freundliche ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen den EU-Kritiker Norbert Hofer klar. Spitzenpolitiker in der EU atmeten spürbar auf: Populisten sind eben doch nicht unschlagbar.
„Ganz Europa fällt Stein vom Herzen“, schrieb SPD-Chef Sigmar Gabiel auf Twitter. Das Wahlergebnis sei ein klarer Sieg der Vernunft gegen den Rechtspopulismus in Europa. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sah das ganz ähnlich: „Nach dem Trump-Sieg und dem Brexit-Votum haben die österreichischen Wähler gezeigt, dass Vernunft, Toleranz und Menschlichkeit keine Fremdwörter bei Wahlen in der Europäischen Union sind“, sagte Asselborn am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur. Und der CSU-Europapolitiker Manfred Weber twitterte: „Österreicher senden klares pro-europäisches Signal.“
Das Erstaunlichste daran ist vielleicht die Überraschung der an Tiefschläge gewöhnten EU-Politiker. Denn in den Wochen vor der Wahl hatten sie schon fast mit Gewissheit angenommen, dass Populismus immer zieht. Die EU ist tief verunsichert und geschwächt von Krisen und Selbstzweifeln - die Brexit-Entscheidung der Briten im Juni war dafür das sichtbarste Symbol.
Das macht die Gemeinschaft für Populisten auch leicht angreifbar. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und andere beklagen seit langem, dass „Brüssel“ gern für Fehlschläge verantwortlich gemacht wird, während sich die Mitgliedstaaten Erfolge selber auf die Fahne schreiben. Unterm Strich läuft es in der EU zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten alles andere als rund, und auf die vielen Krisen finden sich nur schwache Antworten.
Nun ist mit Van der Bellens Wahl zumindest ein anderes Signal gesetzt. Gelöst sind die vielen Schwierigkeiten der EU damit aber noch nicht. So blickten am Sonntagabend alle immer noch bange nach Italien, denn der Ausgang des Referendums dort könnte weit dramatischere Folgen haben als die österreichische Wahl.
Bei einer Niederlage des EU-Freunds Matteo Renzi und dessen dann erwarteten Rücktritt werden heftige Reaktionen der Finanzmärkte befürchtet. Die massive Verschuldung des Landes könnte zu einer neuen Belastung der Eurozone werden. Die Hoffnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Stabilität im Partnerland Italien wäre mal wieder dahin; dabei wäre sie nach der Austrittsentscheidung der Briten umso mehr auf einen starken Verbündeten angewiesen.
Dabei geht es in Italien nicht nur um die von Renzi vorgelegte Verfassungsreform. Immer noch schwächelt die Wirtschaft, vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit verstärkt die depressive Stimmung. Für viele Italiener gibt es einen Grund dafür: die deutsche Spar- und Anti-Schulden-Politik.
Auch der Ausblick ins Wahljahr 2017 ist für Merkel wie für die EU-Politiker in Brüssel alles andere als entspannt. In den Niederlanden steht der EU-Kritiker Geert Wilders für die Wahl im März in den Startlöchern, in Frankreich hofft die Rechtspopulistin Marine Le Pen im Mai auf Erfolg. Würde Le Pen wirklich gewählt und triebe sie wirklich den Austritt aus dem Euro oder der EU voran, ginge es für die EU ums Überleben - 60 Jahre nach den Römischen Verträgen für ihre Gründung.
In Berlin könnte die Alternative für Deutschland bei der Bundestagswahl in neun Monaten das Machtgefüge durcheinander wirbeln. Schneidet sie im Herbst gut ab, dürfte die Regierungsbildung für Merkel in Berlin schwierig werden. Es ist sicher kein Zufall, dass die CDU auf ihrem Parteitag am Dienstag und Mittwoch in Essen vor allem mit einem härteren Kurs gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen Profil gewinnen will.