„Sì o No“ „Es muss voran gehen“: Italien stimmt über Zukunft ab

Rom (dpa) - Sonntag, Tag der Entscheidung in Italien. Schon morgens herrscht Andrang in dem Wahllokal im Osten Roms. Zwar geht es in dem Referendum um die Reform der Verfassung - aber auch die Regierung und die Stabilität Italiens stehen auf dem Spiel.

„Ich unterstütze diese Regierung überhaupt nicht und die Reform ist nicht perfekt, aber sie ist immerhin etwas“, sagt Valeria Petropaoli. „Ich hoffe, dass heute alle über die Reform und nicht über die Regierung abstimmen.“

Doch viele Menschen in Italien wollen genau das: über das Schicksal von Regierungschef Matteo Renzi entscheiden. Und daran, dass das Referendum zum Votum über seine Person geworden ist, ist der Sozialdemokrat selbst Schuld. Denn falls die Gegner der Reform gewinnen, also das „Nein“, hatte er seinen Rücktritt angekündigt. Regierungskrise und Finanzmarktturbulenzen könnten folgen.

Nach Brexit und Trump-Wahl werden dann neue Unsicherheiten für ganz Europa befürchtet. Viele würden darin lesen, dass die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung oder die rechten Lega Nord, die gegen die Reform getrommelt hatten, weiter Zulauf bekommen. Das wäre auch ein ungemütliches Szenario für die Bundesregierung von Angela Merkel, die ein gutes Verhältnis zum EU-Freund Renzi pflegt.

Die „Mutter aller Reformen“ soll das oft ineffektive Zwei-Kammer-System in Italien abschaffen und den Senat entmachten. Endlich soll es vorwärts gehen mit dem Land, das seit Jahren in der Krise verharrt und in dem sich Pessimismus, Frust und Resignation breit gemacht haben.

„In Italien funktioniert nichts. Die Reform ist ein erster Schritt“, sagt der 23-jährige Matteo. Und ein älterer Rentner sagt: „Es geht um Europa, es geht um die Zukunft Italiens. Wir sind alt, für uns ist es nicht so entscheidend, was heute passiert. Aber für die jungen Leute muss es voran gehen.“

Auch wenn diese Wähler für die Reform sind, letzte Umfragen sind zwei Wochen alt (danach dürfen keine mehr publiziert werden) und deuten auf ein „Nein“ hin. Und es sind nicht nur die „Abgehängten“, von denen nach der Trump-Wahl überall die Rede ist, oder die „Wutbürger“, die gegen die Globalisierung und die Eliten stimmen wollen. Es sind viele gut situierte, gebildete Leute, die gegen die Reform sind. Und gerade bei den jungen Leuten gibt es laut Umfragen viele Nein-Sager, bei ihnen kommt der selbst erst 41 Jahre alte Renzi nicht gut an.

„Man kann so eine Reform vielleicht in Schweden oder in Deutschland machen - aber nicht in Italien, wo es so viele korrupte Politiker gibt“, sagt die Rechtsanwältin Giovanna Rossi. „Wenn Gesetze nicht mehr von zwei Kammern abgesegnet werden, ist die Tür für Kriminelle doch noch viel weiter offen. Ihr im Ausland seht das vielleicht anders. Hier ist es doch egal, welche Regierung wir haben, sie sind eh alle gleich“, meint sie.

Politikverdrossenheit gehört in Italien zum guten Ton. Vor Regierungskrisen fürchten sich wenige. Es ging ja doch immer weiter, mal schlechter, mal besser, aber es ging weiter. Interessant wird daher sein, wie viele Menschen überhaupt am Sonntag wählen gehen.

Probleme macht nicht nur, dass die Reform mit heißer Nadel gestrickt und sogar nach Meinung der Regierung „nicht perfekt“ ist. Sie ist einfach zu kompliziert für eine Volksabstimmung. Man verlangt den Wählern schon allerhand ab, die 47 Paragrafen, die geändert werden sollen, zu verstehen. Vor allem, wenn es beide Kampagnenseiten mit den Fakten nicht so ganz genau nehmen.

Es war ein Wahlkampf mit gegenseitigen Beleidigungen und tiefen Grabenkämpfen. Der lauteste Gegner, der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, bezeichnete Renzi als eine „verwundete Wildsau“. Renzi wiederum rief zur Mäßigung auf, schimpfte aber dennoch auf allen Kanälen auf seine Gegner und wiederholte ein ums andere Mal, falls die Italiener „Nein“ sagten, sei ihre Zukunft verspielt. Auch das ist Angstmacherei.

Panikmache sehen viele Menschen auch in der Warnung, dass Italien bei einem „Nein“ der Euro-Ausstieg, eine Kapitalflucht und eine (noch) schwächere Wirtschaftslage droht. „Die Italiener werden auch am Tag nach dem Referendum noch ihren Kaffee trinken und ihr Cornetto essen“, sagt Tatjana Eifrig, Analystin bei der Bank Finnat. Denn die Reform packe sowieso nicht die tiefsitzenden Probleme des Landes an, nämlich Vetternwirtschaft und Korruption. Marktturbulenzen würden sich nach einiger Zeit wieder legen. Finanzminister Pier Carlo Padoan - der als Kandidat für eine Übergangsregierung gehandelt wird, sollte Renzi zurücktreten - sagte: Nach dem Wolkenbruch werde der Himmel wieder blau.

Aber die Sorgen sind nicht unberechtigt: Italien ist so hoch verschuldet wie wenige Länder der Welt. Renzi, der vor fast drei Jahren als „Verschrotter“ der alten Politik angetreten war, hat das trotz Reformen nicht in den Griff bekommen. Auch die Krisenbanken des Landes könnten bei politischer Instabilität weiter ins Wanken geraten, und dann würde es noch ungemütlicher.

Für Renzi gibt es durchaus Hoffnung - denn wer weiß schon, ob die Umfrageinstitute auch dieses Mal wieder geirrt haben? Und selbst wenn er zurücktreten sollte, heißt das lange nicht, dass er den Italienern nicht doch erhalten bleibt: Dass er bei möglichen Neuwahlen als Kandidat seiner Partei PD ins Rennen geht, gilt als sicher.